1990 umfasst das Straßennetz der DDR etwa 121.000 km, von denen 1.870 km auf Autobahnen, 11.700 km auf Fernverkehrsstraßen, 32.500 km auf Bezirksstraßen und 75.200 km auf Kreis- und Kommunalstraßen entfallen. In einem Zeitungsinterview erklärt Verkehrsminister Horst Gibtner, dass etwa die Hälfte der Straßen dringend instandgesetzt werden müssen und 50 % der Autobahnen seit 1945 nicht mehr repariert wurden.
Das gesamte Straßennetz sowie die Unternehmen für Service, Wartung und Kontrolle sind in der DDR verstaatlicht. Der VEB Autobahndirektion koordiniert alle Aufgaben im Straßenwesen. Die Leitung und Kontrolle obliegt dem Ministerium für Verkehr. Im Zuge der Entflechtung der Volkseigenen Betriebe und Kombinate wird Mitte 1990 mit der Herauslösung und Privatisierung einzelner Unternehmensteile aus der Autobahndirektion begonnen. Ziel dieser Maßnahmen ist die Schaffung eines kommerziellen-privatwirtschaftlichen und eines hoheitlich-staatlichen Bereiches im Straßenwesen.
Ende Juni 1990 erlässt Horst Gibtner eine Anweisung zur Gründung einer privaten Autobahnservicegesellschaft mbH, die alle Serviceleistungen an den DDR-Autobahnen übernimmt. Die ehemals staatlichen MINOL-Tankstellen werden der Treuhandanstalt zur Verwaltung übergeben. Zur Schaffung einer einheitlichen gesetzlichen Grundlage für das Straßenwesen der DDR entschließt sich das MfV zur Übernahme aller relevanten Bundesgesetze, wie des Bundesfernstraßengesetzes oder des Straßenbaufinanzierungsgesetzes. Im Rahmen der Verhandlungen über den Einigungsvertrag werden in den Anlagen die entsprechenden Rechtsübernahmen festgehalten.
Organisationsanweisung zur Umbildung des VEB Autobahndirektion in eine Haushaltsorganisation, 29. Juni 1990.
Quelle: BArch, DM 1 / 18546 (pdf)Gesprächsprotokoll der AG „Subventionen“ der Verkehrsunion vom 25. Juni 1990 [Auszug zum Straßenwesen].
Quelle: BArch, DM 1 / 14566 (pdf)Kosteneinschätzung für die straßenbaulichen Ausrüstungen von Straßen und Autobahnen in der DDR vom 27. Juli 1990.
Quelle: BArch, DM 1 / 13163 (pdf)Auch die Institute zur wissenschaftlich-technischen Entwicklung des Straßenwesens werden aus dem Ministerium ausgegliedert, privatisiert oder aufgelöst. Dies betrifft beispielsweise die Unfallforschung oder die Anstalt für Verkehrsentwicklung. Einzelne Forschungszweige werden nach dem 3. Oktober 1990 der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) zugeordnet. Zur wichtigsten Aufgabe im Straßenwesen gehört 1990 der zügige Lückenschluss in den grenznahen Gebieten und die schnelle Instandsetzung der größten Mängel. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Grenzregimes entstehen entlang der innerdeutschen Grenze hunderte neue, zum Teil wilde, Grenzübergänge, die im Laufe des Jahres 1990 aufgerüstet werden müssen.
Ähnlich wie bei den großen Infrastrukturprojekten im Bereich Eisenbahnwesen beginnt die eigentliche Planung und Durchführung von Bauvorhaben im Straßenwesen erst im Jahr 1991. Mit der Gründung der Managementgesellschaft „Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH (DEGES)“ werden die wichtigsten und größten Projekte zusammengefasst. Anteilseigner der Gesellschaft sind verschiedene Bundesländer, der Bund und private Unternehmen.
Die Verkehrsunion, Transit- und Verkehrskommission
Bei einem Treffen von Hans Modrow und Helmut Kohl am 13. Februar 1990 in Bonn bietet der Bundeskanzler Verhandlungen über eine Wirtschafts- und Währungsunion an. Im Rahmen der Gespräche in Bonn wird die Einrichtung einer Kommission „Verkehrswege“ zur Schaffung einer Verkehrsunion beschlossen. Damit wird eine gemeinsame Verkehrswegeplanung zwischen Bundesrepublik und DDR endgültig festgeschrieben. Bundesverkehrsminister Zimmermann schlägt seinem damaligen DDR-Amtskollegen Heinrich Scholz folgende prinzipielle Zielsetzungen einer Verkehrsunion vor:
In Arbeitsgruppen werden die zentralen Arbeitsfelder besprochen. Diese umfassen unter anderem:
Um die schnelle und effektive Umsetzung der Verkehrsunion voranzutreiben, entwickelt das MfV in Abstimmung mit dem BMV organisatorische Leitlinien.
Schreiben von Friedrich Zimmermann (BMV) an den DDR-Minister für Verkehrswesen, Scholz, über die Struktur der Verkehrsunion vom 20. Februar 1990.
Quelle: BArch, DM 1 / 15302 (pdf)Vorschlag für eine effektive Organisation der Vorbereitung und Auswertung von Verhandlungen und Beratungen mit dem Bundesverkehrsministerium und seinen nachgeordneten Einrichtungen vom 23. April 1990.
Quelle: BArch, DM 1 / 14794 (pdf)Darstellung des Systems der Subventionen aus dem Staatshaushalt für den Personen- und Güterverkehr der DDR sowie für weitere Leistungen.
Quelle: BArch, DM 1 / 15269 (pdf)Bereits am 3. Mai 1990 wird die Verkehrsunion zwischen der Bundesrepublik und der DDR in Bonn beschlossen. In dem Abkommen sind wichtige Infrastrukturprojekte, wie der Ausbau der Schnellbahnverbindung zwischen Hannover und Berlin, mit einem Investitionsvolumen von vier Milliarden D-Mark, festgelegt. Zur Verbesserung der Verkehrsverbindungen soll bis Ende 1991 ein gemeinsamer Verkehrswegeplan ausgearbeitet werden. Weitere Bauprojekte umfassen die Schließung der Elektrifizierungslücken bei den Schienenverbindungen und den Ausbau besonders beschädigter Autobahnen sowie den Wiederaufbau der Elbbrücke Dömitz. Wegen des schlechten Zustands der DDR-Autobahnen lehnt Horst Gibtner die Aufhebung des Tempolimits ab.
Die Transit- und Verkehrskommission
Parallel zu den Verhandlungen in der Verkehrswegekommission tagen zusätzlich die Verkehrs- und Transitkommission. Am 26. Mai 1972 schließen die Bundesrepublik und die DDR ein Transitabkommen ab. Damit wird der Transitverkehr für Westdeutsche und West-Berliner erheblich erleichtert und willkürliche Kontrollen verboten. Im Gegenzug zahlt die Bundesrepublik jährlich mehrere Millionen DM Transitpauschale, die zur Pflege der Verkehrswege genutzt werden soll. Zur Klärung von Problemen wird eine Transitkommission eingerichtet. Dort werden vor allem Verstöße gegen die Vertragsbestimmungen wie Fluchtversuche und Fluchthilfeaktionen erörtert. Mit dem Zusammenbruch des Grenzregimes und der zunehmenden Öffnung der DDR ändern und erweitern sich nun die Aufgabenbereiche. Folgende neue Themenkomplexe werden in der Transitkommission erörtert:
Gleichzeitig werden auch die Treffen der Verkehrskommission eingeschränkt. Die Verkehrskommission wird im Zuge des Abschlusses des Verkehrsvertrages im Jahr 1972 gebildet. In der Kommission werden Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Anwendung der Vertragsinhalte abgesprochen.
Am 13. Juni 1990 findet die 117. Sitzung der Transitkommission in Hamburg statt. Auf Grund des Wegfalls der Grenzkontrollen zum 1. Juli 1990 werden die Sitzungen nunmehr nur noch nach Bedarf abgehalten. Damit werden die Beschlüsse über die Verkehrsunion zu den Leitlinien für die Entwicklung des deutsch-deutschen Verkehrswesens. Mit der Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 31. August 1990 sind zudem die Inhalte des Verkehrsvertrages von 1972 hinfällig.