Am 20. Dezember 1989 tagt die sogenannte Mediengesetzgebungskommission zum ersten Mal im Ministerium für Justiz in Ost-Berlin. Die Kommission versteht sich als eine Art Runder Tisch und widmet sich ausschließlich Fragen des Presserechtes und der Reform des DDR-Mediensystems. Bereits nach der ersten Sitzung wird jedoch deutlich, dass die Ausarbeitung eines Mediengesetzes einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen wird, als es die gesellschaftlichen Entwicklungen in der DDR zulassen. Zudem fehlt der Mediengesetzgebungskommission jegliche demokratische Legitimation. Um diesen Problemen auszuweichen, entschließt sich die Kommission einige Grundsätze zur Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit zu erarbeiten, die der Volkskammer zur Verabschiedung vorgelegt werden. Ein Mediengesetz soll dann, so die Planungen, erst im Anschluss an die Wahl am 18. März 1990 von der demokratisch bestätigten Volkskammer diskutiert und verabschiedet werden. Nach dreiwöchigen Beratungen wird dem Ministerrat der DDR und dem Runden Tisch am 9. Januar 1990 ein Entwurf für einen „Beschluss über die Gewährleistung der Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit (Medienbeschluss)“ vorgelegt, der unter anderem folgende Punkte beinhaltet:
Nach der Prüfung des Beschlusses durch Justizminister Kurt Wünsche, den Ministerrat und den Runden Tisch stimmt auch die Volkskammer am 5. Februar 1990 den Grundsätzen zu. Die Bestimmungen haben auch nach der Volkskammerwahl weiter Bestand. Während im Koalitionsvertrag festgelegt ist, dass der Medienkontrollrat seine Tätigkeit bis zur Verabschiedung einer Mediengesetzgebung fortsetzen soll, wird die Mediengesetzgebungskommission in das neu geschaffene Ministerium für Medienpolitik integriert.
Diese Regelungen führen jedoch zu einem Kompetenzkonflikt. Während der Beschluss vom 5. Februar 1990 festlegt, dass die Kommission für die Erstellung eines Mediengesetzes zuständig ist, beansprucht nun auch das Ministerium die Hoheit über das Gesetzgebungsverfahren. Zudem konstituiert sich am 29. Mai 1990 der Volkskammerausschuss für Presse und Medien. Auf Basis mehrerer Treffen mit Vertreten der Regierung de Maizière erstellen Berater aus dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung ein sogenanntes Rundfunkpapier. Dieses soll sich an den Koalitionsvereinbarungen und der Regierungserklärung orientieren. Der Medienkontrollrat wird ebenso wie die Mediengesetzgebungs-kommission nicht an den Verhandlungen beteiligt. Das am 22. Mai 1990 intern vorgestellte Konzept umfasst unter anderem folgende zentrale Aussagen:
Parallel dazu stellt der medienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagesfraktion, Bernd Neumann, am 17. Mai 1990 ein Rahmenpapier zur Neuordnung der DDR-Rundfunklandschaft vor. Zur konkreten Erarbeitung eines Gesetzestextes wird auf Initiative des Ministerrates am 8. Juni 1990 eine neue Regierungskommission im MfM gegründet, der zahlreiche Mitglieder der vorherigen Kommission angehören. In vier Sitzungen entsteht ein Entwurf für das Rundfunküberleitungsgesetz, der am 20. Juli 1990 auf der 20. Sitzung der Volkskammer kontrovers diskutiert wird. Dieser enthält unter anderem folgende Regelungen:
Wortlaut des Rahmenpapiers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 22. Mai 1990.
Quelle: BArch, DC 9 / 1034 (pdf)Anschreiben des MfM zur Berufung der Mitglieder der Regierungskommission Mediengesetzgebung vom 30. Mai 1990.
Quelle: BArch, DC 9 / 1073 (pdf)Text des ersten Entwurfs des Rundfunküberleitungsgesetzes vom 11. Juli 1990.
Quelle: Volkskammer der DDR, Drucksache 134 (pdf)Text des Mediengesetzentwurfs der SPD-Fraktion in der Volkskammer vom 4. Juli 1990.
Quelle: BArch, DC 9 / 1034 (pdf)Da der erste Entwurf des Rundfunküberleitungsgesetzes bereits vor der Beratung in der Volkskammer öffentlich wird, kommt es schon im Vorhinein zu Diskussionen. Besonders die Oppositionsparteien, aber auch die SPD, kritisieren das Verfahren bei der Erarbeitung des Gesetzes, die Nichtberücksichtigung der Mediengesetzgebungskommission und das Berufungsrecht des Ministerpräsidenten. Aus diesem Grund entwickelt die SPD-Fraktion einen eigenen Gegenentwurf, der auf dem medienpolitischen Konzept der westdeutschen SPD basiert. Dieser sieht die Errichtung einer Rundfunkanstalt mit dem Namen „Ostdeutscher Hör- und Fernsehfunk (OHFF)“ vor, der die Rechtsnachfolge des DDR-Rundfunks antreten soll. Zudem wird darin eine unbedingte Staatsferne festgelegt und die Berufung der Intendanten durch einen neuzugründenden Rundfunkrat vorgeschlagen
Da weder der Entwurf der SPD, noch der des Medienministeriums konsensfähig sind, werden beide an den Volkskammerausschuss für Presse und Medien überwiesen, der einen neuen Entwurf erarbeiten soll. Nach etwa vierwöchigen Beratungen präsentiert der Ausschuss eine neue Version, über den auch in den Verhandlungen über den Einigungsvertrag Ende August 1990 debattiert wird. Die darin enthaltenen Vorschläge entsprechen weitestgehend dem SPD-Entwurf, der jedoch von der westdeutschen Delegation abgelehnt wird. Stattdessen plädiert die westdeutsche Seite für die Aufnahme eines Rundfunkartikels in den Einigungsvertrag. In den Gesprächen vom 21. bis 25. August 1990 einigt sich die DDR-Delegation, der Günther Krause, Manfred Becker und Konrad Weiß angehören, mit den westdeutschen Verhandlungspartnern auf die Einsetzung des Artikel 36 im Einigungsvertrag. Darin ist folgendes festgelegt:
Mit der Auslagerung der Kontroversen um das RÜG auf die Verhandlungen über den Einigungsvertrag werden sowohl dem Medienministerium, als auch der Volkskammer die Gesetzgebungskompetenzen weitgehend entzogen. Trotz der Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 31. August 1990 überarbeitet der Volkskammerausschuss für Presse und Medien den Gesetzesentwurf erneut. Der am 7. September 1990 präsentierte Vorschlag enthält einige fast wortgenau übernommene Regelungen aus Artikel 36. Entscheidende Unterschiede finden sich vor allem bei der Zusammensetzung des Rundfunkbeirates. Ansonsten orientiert sich das Gesetz weitestgehend am westdeutschen Rundfunkvertrag. Auf der 35. Sitzung der Volkskammer am 13. September 1990 wird das Rundfunküberleitungsgesetz nach kurzer Diskussion mit nur vier Gegenstimmen beschlossen.
Bei den Nachverhandlungen zum Einigungsvertrag am 18. September äußert die bundesdeutsche Seite verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Gesetz. Daraufhin einigen sich beide Verhandlungsdelegationen auf eine Annullierung des Gesetzes nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages. Letztendlich hat das RÜG nach seiner offiziellen Inkraftsetzung am 26. September 1990 noch sieben Tage Bestand.