Bis 1989 sind die Waren-, Konsum- und Lebensmittelindustrie sowie der Handel und Verkauf von Gütern in der DDR staatlich reguliert. Mittels zentral gelenkter Wirtschaftpläne werden die Produktionsmengen und die jeweiligen Verkaufspreise einheitlich festgelegt. Um die Versorgung der Bevölkerung mit Waren zu gewährleisten, existiert in der DDR ein Netz aus Warenhäusern und Lebensmittelläden. Neben staatlichen Geschäften, wie HO-Kaufhallen oder den Centrum-Warenhäusern, bieten die Filialen der genossenschaftlich organisierten Konsumhandelskette Waren für den täglichen Bedarf an. Einige wenige Einzelhandelsläden, wie Bäckereien oder Schuster, werden bis 1989 als private Unternehmen geführt. Alle Verkaufsstellen, egal ob staatlich, genossenschaftlich oder privat organisiert, sind an die Preisvorgaben der Planwirtschaft gebunden. Preisvergleiche oder Rabatte sind somit für die Kunden in der DDR hinfällig. Für die plangemäße Belieferung aller Läden sind die staatlichen Großhandelsgesellschaften „Waren für den täglichen Bedarf“ (WtB) und „Obst, Gemüse, Speisekartoffeln“ (OGS) zuständig. Zusätzlich beliefert der Bau- und Rohstoffhandel industrielle Produzenten und private Konsumenten mit Rohmaterialien. Liefertermine und Art der gelieferten Waren orientieren sich dabei weniger an der Nachfrage der Verkausstellen, als an den planmäßigen Vorgaben und vertraglichen Absprachen zwischen Produzenten, Großhandel und Einzelhandel.
Besonders hochwertige Waren, die in der Regel nur für den Export bestimmt sind oder ausgewählte Produkte aus dem Ausland, sind in der DDR bis 1989 nur in den staatlichen Delikat- oder Exquisitläden erhältlich. Die Preise liegen in diesen Läden deutlich über denen des regulären Einzelhandels, können aber mit DDR-Mark bezahlt werden. Die in den sogenannten Intershops angebotenen Waren hingegen können nur mit westlichen Devisen gekauft werden. Das Sortiment setzt sich zum großen Teil aus westlichen Waren und nur wenigen sehr hochwertigen DDR-Produkten zusammen. Beliefert werden die Intershops nicht vom regulären Großhandel, sondern von der „Forum Außenhandelsgesellschaft mbH“, die zur Arbeitsgruppe Bereich Kommerzielle Koordinierung (AG BKK) gehört, die dem Ministerium für Staatssicherheit untersteht.
Um die monopolistische Stellung der staatlichen Handelsunternehmen aufzulösen und eine Konkurrenz- und Wettbewerbssituation in diesem Wirtschaftsbereich zu schaffen, entwirft die Fraktion der CDU/DA ein Gesetz zur Entflechtung des Handels in den Kommunen, das am 29. Juni 1990 in der 1. Lesung in der Volkskammer debattiert wird. Damit soll ein Handlungsrahmen zur Gründung von Handelsunternehmen mit verschiedenen Größenordnungen und unterschiedlichen Geschäftsformen bereitgestellt werden. Gleichzeitig darf die Versorgungskette zwischen Produktion, Großhandel und Einzelhandel nicht unterbrochen werden, um die Versorgung der Bevölkerung nicht zu gefährden.
Die Bestimmungen sind eng verknüpft mit der Umsetzung des Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz). In Folge der darin festgehaltenen Regelungen werden zum 30. Juni 1990 aus den 16 zentralgeleiteten Großhandelsgesellschaften 167 Kapitalgesellschaften gebildet. Zur gleichen Zeit erfolgt die Umwandlung der 14 Bezirksdirektionen des volkseigenen Einzelhandels (HO) in 90 Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH). Bei diesem Prozess kommt es zu Zusammenschlüssen von Gesellschaften, die auf ihren Territorien nach wie vor eine marktbeherrschende Stellung einnehmen. Um solche Entwicklungen zu vermeiden, wird im Gesetz zur Entflechtung des Handels unter anderem festgelegt, dass die Umsatzanteile einzelner Unternehmen am Gesamtumsatz der jeweiligen Branche von 25% auf den regionalen Märkten nicht überschritten werden sollen. Doch nicht nur Zusammenschlüsse von DDR-Betrieben, sondern auch durch Übernahmen oder Beteiligungen von westdeutschen Konzernen, sogenannten Joint-Ventures, droht die Entstehung marktbeherrschender Unternehmensstrukturen. Um dies zu verhindern, prüft das Amt für Wettbewerbsschutz in Abstimmung mit der Treuhandanstalt alle Anträge auf Fusionen oder Beteiligungen.
Als am 1. Juli 1990 die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in Kraft tritt, kommt es aus verschiedenen Gründen zu Versorgungsproblemen und Lieferengpässen im DDR-Handel. Zudem werden fast nur westliche Produkte zu überhöhten Preisen angeboten. Auf Grund massiver Proteste gegen diese Entwicklungen wird die Abstimmung über das Gesetz zur Entflechtung des Handels als außerordentlicher Punkt in die Tagesordnung der 22. Sitzung der Volkskammer am 6. Juli 1990 aufgenommen. Nach kurzer Debatte wird die Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses angenommen und das Gesetz in Kraft gesetzt.
Protokoll über die Beratung zu Problemen der Entflechtung von Handelsunternehmen, ihrer Umbildung in Kapitalgesellschaften sowie bei der Herausbildung neuer Unternehmensstrukturen durch Fusionen und Beteiligungen mit westdeutschen Handelsfirmen, 21. Juni 1990.
Quelle: BArch, DQ 3 / 1877a (pdf)Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses der Volkskammer zum Gesetz zur Entflechtung des Handels vom 6. Juli 1990.
Quelle: Drucksache 108a, Volkskammer der DDR (pdf)Text des Gesetzes zur Entflechtung des Handels in den Kommunen.
Quelle: Gesetzblatt der DDR, Teil I, Nr. 42, S. 598 (pdf)Das Gesetz umfasst unter anderem folgende Schritte zur Entflechtung des Handels in den Kommunen:
Um der Umstrukturierung und Reorganisation des Handels einen einheitlichen Rahmen zu geben, erlässt der Ministerrat am 25. Juli 1990 eine Verordnung zur Entflechtung des Handels in den Kommunen. Darin sind die konkreten Richtlinien festgelegt, die den Prozess der Entflechtung strukturieren sollen. Diese umfassen unter anderem: