Die erste und zugleich einzige frei gewählte Volkskammer der DDR tritt am 5. April 1990 im Palast der Republik in Ost-Berlin zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Der 10. Volkskammer gehören – einschließlich der Nachrücker – 409 Abgeordnete an. Zur Präsidentin der Volkskammer wird im zweiten Wahlgang die CDU-Abgeordnete Sabine Bergmann-Pohl gewählt.
Die 10. Volkskammer der DDR kommt zwischen April und Oktober 1990 zu insgesamt 38 Sitzungen zusammen. In den 26 Wochen ihres Bestehens beraten die Abgeordneten über 759 Kabinettsvorlagen, beschließen 164 Gesetze und verabschieden 93 Beschlüsse. Dieses enorme Arbeitspensum wird unter hohem Zeitdruck absolviert. Symbolträchtig nimmt die Volkskammer ihre Arbeit auf: In einem Antrag aller Fraktionen bekennen sich die Parlamentarier in einer gemeinsamen Erklärung zur Verantwortung der Deutschen in der DDR für ihre Geschichte.
Brief an den Präsidenten der Volkskammer Dr. Günther Maleuda vom 30. März 1990, der über den Staatsratsbeschluss zur Einberufung der ersten Tagung der 10. Volkskammer informiert.
Quelle: BArch, DA 1/18796 (pdf)Staatstelegramm: Einladung an die Abgeordneten zur konstituierenden Volkskammersitzung am 5. April 1990
Quelle: BArch, DA 1/18796 (pdf)Tagesordnung der ersten (konstituierenden) Tagung der 10. Volkskammer und Wahl des Präsidenten
Quelle: BArch, DA 1/18796 (pdf)Zusammensetzung des Präsidiums der 10. Volkskammer
Quelle: BArch, DA 1/19102 (pdf)Richtlinien für die Fragestunde der Volkskammer und deren Beantwortung durch die betreffenden Ressorts vom 6. Juni 1990.
Quelle: BArch, DR 5/2789 (pdf)Personell ist die Volkskammer nahezu vollständig neu aufgestellt. Nur 13 der 409 Abgeordneten waren bereits zu einem früheren Zeitpunkt Mitglieder der Volkskammer. Das spiegelt sich auch in der sozialen Zusammensetzung der Volkskammer wider: Am häufigsten vertreten sind die Berufsgruppen der Ingenieure, Pädagogen, Ärzte, Natur- und Geisteswissenschaftler. Über 86,1 % der Abgeordneten besitzen einen akademischen Abschluss.
Die meisten der neuen Abgeordneten wechseln direkt aus ihren Berufen in die Volkskammer und verfügen daher über keinerlei parlamentarische Erfahrung. Es bleibt nur wenig Zeit, sich mit den organisatorischen Abläufen vertraut zu machen. Erschwerend kommt hinzu, dass es praktisch keine parlamentarische Infrastruktur gibt. Bis 1989 tagte die Volkskammer üblicherweise nur zwei- bis dreimal jährlich, um die Entscheidungen der Staats- und Parteiführung zu bestätigen. Eine Parlamentsverwaltung ist daher nur für diejenigen Bereiche vorhanden, in denen die Volkskammer repräsentative Pflichten erfüllt. Im April 1990 stehen darüber hinaus nicht genügend Besprechungsräume und Büros für alle Abgeordneten zur Verfügung. Um der Raumnot abzuhelfen, übernimmt die Volkskammer große Teile des Hauses des SED-Zentralkomitees. Dort wird die Volkskammer auch ihre letzten Sitzungen abhalten, nachdem am 19. September 1990 der Palast der Republik wegen zu hoher Asbestbelastung geschlossen werden muss.