Kurz nach Gründung der DDR beschließt die Staatsführung Ende Juli 1950 16 Grundsätze des Städtebaus, die bis 1990 das offizielle Leitbild der Architekturpolitik der DDR bestimmen. Neben Richtlinien zur Verkehrsführung, Bebauungsstrategie und Wohnraumstruktur legen die Grundsätze vor allem die staatliche Planungshoheit im städtischen Bereich fest. Nach der Beseitigung der größten Kriegsschäden widmet sich die Führung der DDR ab den 1970er Jahren der großflächigen Umgestaltung der Städte und Gemeinden. Um den niedrigen Wohnstandard anzuheben, und die herrschende Wohnungsknappheit zu lindern, beschließt die SED 1972 zusätzlich die Einrichtung eines Wohnungsbauprogramms. Durch die Fokussierung auf den Neubau von Wohnungen und den akuten Baustoffmangel verfällt die Altbausubstanz in den Innenstädten der DDR zusehends. Die Forderung nach der Behebung des schlechten baulichen Zustandes der Städte gehört deshalb zu den zentralen Themen der Bürgerproteste im Herbst 1989.
„Von der zentralistischen Bauwirtschaft zur demokratischen Baukultur“
Nach dem Wechsel an der Spitze des Ministeriums für Bauwesen und Wohnungspolitik im November 1989 vereinbaren der neue Minister Gerhard Baumgärtel und Gerda Hasselfeldt, Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, die Einrichtung eines so genannten „Modellstadtprogramms“.
Zur Entwicklung eines modellhaften Verfahrens zur systematischen Stadterneuerung werden zunächst in den vier Pilotstädten Meißen, Brandenburg, Stralsund und Weimar umfangreiche Sanierungsprogramme geplant. Die Betreuung und Umsetzung wird von westdeutschen Sanierungsträgern übernommen. Ziel der Maßnahmen ist zudem, Forschungs- und Lösungsansätze zu erarbeiten, die dann in anderen Städten und Gemeinden der DDR angewandt werden können.
Bereits im Februar 1990 wird Halberstadt als fünfte Stadt in das Programm aufgenommen, um eine gleichmäßige Verteilung auf alle künftigen Bundesländer zu gewährleisten. Zur finanziellen Absicherung des Programms beschließen DDR und Bundesregierung Anfang Februar 1990 die Zweitverwendung des Reisemittelzahlungsfonds, in dem sich zu diesem Zeitpunkt über 1,5 Milliarden Mark der DDR befinden. Doch nicht nur das Modellstadtprogramm, sondern auch umfangreiche Maßnahmen im Bereich Dorf- und Stadtsanierungen sollen aus dem Fonds bezahlt werden. Nach einem ersten Antragsverfahren im März 1990 werden 604 Städte und Gemeinden in die sogenannte „Offene Städteliste“ aufgenommen. Bis zum 1. Juli 1990 erhöht sich die Anzahl der anspruchsberechtigten Gemeinden nochmals, so dass 700 Städte- und Gemeinden Projektmittel erhalten.
Nach dem Antritt der Regierung de Maizière Anfang April 1990 wird das Vorhaben von Staatssekretär Michael Bräuer betreut, der bereits während der Regierung Modrow für das Modellstadtprogramm verantwortlich. Bis zum Ende des Auszahlungszeitraums werden von den 700 Städten und Gemeinden 768. Mio. Mark der DDR abgefordert. Die fünf Modellstädte erhalten davon etwa 130 Mio. Mark der DDR.
Art der Maßnahme | Anteil an den Gesamtmitteln (in Prozent) |
---|---|
Sicherungs- und Sanierungsmaßnahmen an Geländen sowie Lückenschließungen | 47 |
Infrastrukturelle Maßnahmen, Stadtökologie und Freiflächengestaltung | 19 |
Objektbezogene Materialbevorratung | 15 |
Materiell-technische Ausrüstung von Bautrieben und Architekturbüros | 15 |
Städtebauliche Planung und vorbereitende Untersuchung | 4 |
Da das Förderprogramm mit dem Beginn der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vorerst ausläuft, entwickelt Staatssekretär Michael Bräuer eine Konzeption zur Fortführung der Städtebauförderung, die sowohl das zweite Halbjahr 1990, als auch eine Fortsetzung im Jahr 1991 einschließt.
Insgesamt bildet das Stadtsanierungsprogramm in der DDR nur den Auftakt für umfangreiche städtebauliche Maßnahmen im wiedervereinigten Deutschland. Mit der Auflage des Programms zum städtebaulichen Denkmalschutz, das von 1991 bis 2008 nur in den Gebieten der ehemaligen DDR angewendet wird, können große Teile der historischen Bausubstanz gerettet werden. Insgesamt werden im Förderzeitraum in 178 Städten 4,6 Mrd. Euro zur Sicherung, Instandsetzung, Modernisierung und Wiederherstellung von Gebäuden und öffentlichem Raum ausgezahlt. Seit 2009 wurde das Programm zudem auf die westdeutschen Gemeinden und Städte ausgeweitet.
Information über die Ergebnisse des Sofortprogramms der Stadtsanierung in der DDR bis zum 30. Juni 1990 und die „Konzeption für die Durchführung des Städtebauförderung in der DDR im 2. Halbjahr 1990“.
Quelle: Privatarchiv Michael BräuerDas Raumordnungsgesetz (ROG)
Bis 1990 existiert in der DDR keine einheitliche Regelung, die mit dem Raumordnungsgesetz der Bundesrepublik vergleichbar ist. In der Bundesrepublik ist die räumliche Planung in ein dreistufiges System gegliedert, das die Bundes- und Landesraumordnung sowie die Regionalplanung umfasst. Den gesetzlichen Rahmen für alle Planungen bildet das sogenannte Raumordnungsgesetz (ROG).
In der DDR hingegen regelt die Abteilung Territorialplanung der Staatlichen Plankommission, die dem Ministerrat direkt unterstellt ist, ökonomische und industrielle Aspekte der Raumordnung in der DDR. Währenddessen fallen räumliche Planungen in Gebieten, Städten und Dörfern in den Verantwortungsbereich des Ministeriums für Bauwesen und Wohnungswirtschaft.
Mit dem Abschluss der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion steht das Ministerium für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft vor der Notwendigkeit, ein Gesetz zur Inkraftsetzung der bundesdeutschen Raumordnung zu erlassen. Damit sollen neue Planungen und Investitionen gesteuert und unkontrollierte Entwicklungen verhindert werden. Dabei sind vier Grundsätze der Raumordnung zu beachten:
Vor allem die Planungen zur Verbindung der Verkehrs- und Energienetze erfordern eine grenzübergreifende Raumplanung und die Anpassung der Gesetzgebung an die Regelungen der Bundesrepublik. Zudem sollen mit dem Inkrafttreten des ROG alle Maßnahmen der Raumplanung in Abstimmung und Koordination mit der Bundesrepublik erfolgen. Des Weiteren klärt das Gesetz die Zuständigkeiten der neuen Länder, die für die Umsetzung der Vorgaben aus dem Raumordnungsgesetz zuständig sind. Dabei sind die Länder verpflichtet, Landesplanungen zu entwickeln, die lokale Akteure und spezifische regionale Gegebenheiten mit einbeziehen.
Rede von Staatssekretär Michael Bräuer zu den Planungen im Bereich Raumordnung vom 19. Juni 1990.
Quelle: Privatarchiv Michael Bräuer (pdf)Antrag des Ministerrates zur Inkraftsetzung des Raumordnungsgesetzes der
Bundesrepublik auf dem Gebiet der DDR vom 20. Juni 1990.
Beschlussempfehlung des Volkskammerausschusses für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft zur Inkraftsetzung des Raumordnunggesetzes vom 5. Juli 1990.
Quelle: Deutscher Bundestag, Volkskammer der DDR, Drucksache 90a (pdf)Die Aufgrund der Umstände obsolete gewordene Raumplanung in der Bundesrepublik, die 1990 nicht auf eine Vereinigung beider Staaten ausgerichtet ist, existieren keine gesamtdeutschen Planungsansätze. In der DDR hingegen läuft der Neuaufbau von Institutionen zur Raumplanung erst langsam an, so dass es teilweise zu erheblichen Fehlentwicklungen kommt. Die Abwesenheit übergeordneter Planungsverwaltungen- und Konzeptionen können die Entwicklungsgrundsätze entsprechend des Raumordnungsgesetzes nicht effektiv durchsetzen. So werden beispielsweise zahlreiche neue Supermärkte an den Stadträndern errichtet, die Kunden aus den Stadtzentren abziehen. Weitere Probleme verursacht die zunächst unkontrollierte Einrichtung von Gewerbe- und Wohnraumflächen an städtebaulich ungünstigen Orten. Erst mit der Etablierung einheitlicher Kontroll- und Planungsinstanzen Mitte der neunziger Jahre kann diese Entwicklung langsam umgekehrt werden.