Die Landwirtschaftliche Produktion der DDR ist bis 1989 fester Bestandteil der zentralistischen Planwirtschaft. Der Staat gibt die Produktionsmengen vor und garantiert den Erzeugern die Abnahme ihrer Produkte zu festgeschriebenen Preisen.
Die landwirtschaftlichen Betriebe sind in hohem Maße genossenschaftlich organisiert. Dadurch können riesige zusammenhängende Flächen bewirtschaftet werden. Im Zuge der DDR-Agrarpolitik in den 1960er und 1970er Jahren schließen sich kleinere LPG zu Großbetrieben zusammen und die Industrialisierung der Landwirtschaft wird vorangetrieben. Zudem spezialisieren sich die Genossenschaften entweder auf die Pflanzen- oder auf die Tierproduktion. Für das Jahr 1989 verzeichnet das Statistische Jahrbuch der DDR:
Die LPG allein bewirtschaften rund 87% der landwirtschaftlichen Nutzfläche und halten ca. 75% der Tierbestände. Diese Großbetriebe verursachen erhebliche Umweltschäden, beispielsweise durch Überdüngung, ungeklärte Abwässer und Folgen der Massentierhaltung. Die tägliche Arbeit in den Genossenschaften ist in den 1980er Jahren von großen Problemen geprägt: Es fehlt an moderner Technik und Ersatzteilen für Maschinen, viele Ställe und Gebäude sind marode. Die Mehrzahl der LPG wirtschaftet unter diesen Bedingungen nicht ökonomisch effizient.
Der neue Landwirtschaftsminister Peter Pollack steht unter enormem Druck, da ein radikaler Umbau der gesamten Landwirtschaft notwendig ist. Die Agrarstruktur muss neu gestaltet, die maroden Betriebe modernisiert und wettbewerbsfähig gemacht sowie die Trennung der Tier- und Pflanzenproduktion aufgehoben werden. Zudem müssen die Produktionsmengen an die Marktordnungen der EG angepasst werden, was nur über den Abbau von Kapazitäten und Arbeitsplätzen erfolgen kann. Auch die Produktionsbedingungen müssen künftig den Hygiene-, Umwelt- und Tierschutzstandards der EG-Regelungen entsprechen. Darüber hinaus müssen sich die Landwirtschaftsbetriebe selbst verstärkt um die Vermarktung ihrer Erzeugnisse bemühen, um wenigstens teilweise von der verarbeitenden Lebensmittelindustrie und dem Handel unabhängig zu sein.
Das Landwirtschaftsanpassungsgesetz
Die entscheidende Rechtsgrundlage zur Schaffung einer neuer Agrarstruktur bildet das „Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik“ (Landwirtschaftsanpassungsgesetz), das am 29. Juni 1990 verabschiedet wird. Mit ihm werden Grundsätze zur Umstrukturierung, Klärung von Eigentumsverhältnissen und Vermögensaufteilung festgelegt. Es ermöglicht sowohl die Umwandlung der LPG in eingetragene Genossenschaften oder Aktiengesellschaften, als auch die Wiedereinrichtung eines bäuerlichen Familienbetriebes für diejenigen, die ihr Eigentum aus der LPG selbst bestellen wollen. Die Idee ist, eine vielfältige Agrarstruktur zu schaffen, in der Genossenschaften, Kapitalgesellschaften, Gesellschaften bürgerlichen Rechts und Familienbetriebe gleichberechtigt nebeneinander existieren. Als Frist für die Umwandlung der Betriebe in neue Rechtsformen wird der 31. Dezember 1991 festgesetzt. In diesem Zusammenhang ist die Klärung der Eigentumsverhältnisse von Boden und Inventar (Produktionsmittel) von zentraler Bedeutung. Das Gesetz räumt den Mitgliederversammlungen der LPG hier weitgehende Rechte bei der Festlegung der Eigentumsverhältnisse ein. Das führt in der Praxis allerdings aus verschiedenen Gründen zu heftigen Interessenskonflikten, einem Ungleichgewicht in der Vermögensaufteilung und zu Benachteiligungen von Genossenschaftsmitgliedern. Ein erhebliches Konfliktpotential entwickelt sich insbesondere bei der Neubewertung des genossenschaftlichen Vermögens. Aufgrund der schwerwiegenden Absatzprobleme in der Umbruchphase und fehlender Bewertungsmaßstäbe fällt die Neubewertung in der „DM-Eröffnungsbilanz“ von LPG zu LPG sehr unterschiedlich aus. So kommt es vor, dass manche LPG-Vermögen nicht ausreichen, um die Mitglieder anteilsmäßig auszuzahlen. In einigen Fällen werden die Bilanzen auch bewusst gefälscht.
Mit der Reorganisation des volkseigenen Vermögens und der Verwertung der Grundstücke in der Land- und Forstwirtschaft wird die Treuhand beauftragt. Dort wird ein eigener Bereich eingerichtet, dessen Arbeitsfähigkeit bis 30. September 1990 hergestellt sein soll. Erst dann können die Eigentumsverhältnisse rechtlich endgültig geklärt und Grundstücksverkäufe durchgeführt werden. Daher wird das Ausmaß der Probleme, die mit dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz in Verbindung stehen, erst nach der Herstellung der deutschen Einheit sichtbar. Die Regierung de Maizière kann hier nicht mehr regulierend eingreifen bzw. nachbessern.
Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 29. Juni 1990.
Quelle: Gesetzblatt der DDR 1990, Teil I, Nr. 42 (pdf)Gesetz zur Förderung der agrarstrukturellen und agrarsozialen Anpassung der Landwirtschaft der DDR an die soziale Marktwirtschaft vom 6. Juli 1990.
Quelle: Gesetzblatt der DDR 1990, Teil I, Nr. 42 (pdf)Information zur Arbeitsaufnahme der Treuhand Land- und Forstwirtschaft vom 21. September 1990.
Quelle: BArch, DK 1/28127 (pdf)Finanzielle Belastung durch Alt-Kredite
Um die Genossenschaften bei der Umstrukturierung zu unterstützen, führen Mitarbeiter des Ministeriums zahlreiche Beratungen mit LPG-Vorsitzenden durch. Dabei geht es vor allem um Fragen wie:
Insbesondere die Belastung durch Alt-Kredite für Grund- und Umlaufmittel wird zum großen Problem für die Genossenschaften. Das sind beispielsweise Kredite für nicht mehr nutzungsfähige Inventarobjekte wie großflächige Beregnungsanlagen oder Gewächshäuser. Über eine Anordnung, die Landwirtschaftsminister Pollack bereits im Mai 1990 erlässt, werden unter bestimmten Bedingungen Kreditstreichungen ermöglicht. Die betroffenen Einrichtungen können Anträge auf Entschuldung an die Bezirksverwaltungsbehörden stellen, die eigenverantwortlich bis 30. Juni 1990 darüber entscheiden. Die aus dem Haushalt zur Verfügung gestellten 400 Mio Mark decken jedoch nur einen Teil der beantragten Entschuldungen ab. Mit der Währungsumstellung kommt es zu erheblichen Problemen, da die noch laufenden Kredite trotz einer Abwertung im Verhältnis 2:1 zu massiven Überschuldungen führen. Hinzu kommt, dass einige Betriebe ihre angehäuften Reserven nicht mehr losschlagen können, und diese ebenfalls negativ in der DM-Eröffnungsbilanz zu Buche schlagen. Die Liquidität der Genossenschaften ist ernsthaft gefährdet und blockiert den Prozess der Entflechtung und Umstrukturierung zusätzlich.
Anordnung über die Gewährung einer Unterstützung an Genossenschaften der Landwirtschaft, die durch staatliche Reglementierung mit hohen Krediten belastet sind vom 4. Mai 1990.
Quelle: Gesetzblatt der DDR 1990, Teil I, Nr. 29 (pdf)Informationen für Landwirtschaftsbetriebe zu Veränderungen beim Übergang zur Marktwirtschaft mit Hinweisen zu Anpassungsmaßnahmen und Besteuerung vom 18. Juni 1990.
Quelle: BArch, DC 20/8949, pag. 19-34 (pdf)Information an den Minister im Amt des Ministerpräsidenten, Klaus Reichenbach, vom 4. Juli 1990 über das Anlaufen der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion im Verantwortungsbereich des Ministeriums für Ernährung, Land- und Forstwirtschaft.
Quelle: BArch, DC 20/18020, pag. 48-56 (pdf)Durch staatlich verordnete Reservebildung lagern in vielen Betrieben der Pflanzenzüchtung noch große Mengen an Pflanz- und Saatgut, die ab Juli 1990 nicht mehr verwertbar sind. Diese Bestände verursachen den Betrieben hohe finanzielle Belastungen.
Quelle: BArch, DK 1/28262 (pdf)Weitere Maßnahmen
Weitere Gesetze zur Umstrukturierung der Landwirtschaft sind:
Anpassungsschwierigkeiten
Mit Einführung der Marktwirtschaft werden die bisherigen Betriebsabläufe in den LPG empfindlich gestört. Die Prozesse der Umstrukturierung und Anpassung an Marktbedingungen geraten ins Stocken. Die Existenz vieler Betriebe ist akut bedroht, weshalb vielerorts einschneidende Maßnahmen ergriffen werden. Die Situation vieler Einrichtungen ist gekennzeichnet durch:
Trotz der einschneidenden Maßnahmen droht vielen Betrieben eine dauerhafte Zahlungsunfähigkeit bzw. ist eine Überschuldung nach Vorliegen der DM-Eröffnungsbilanz absehbar. Bereits im August 1990 werden erste Anträge auf Durchführung von Konkursverfahren gestellt, ohne dass zukunftsfähige Lösungen für eine weitere Bewirtschaftung vorliegen.
Die Förderung des Anpassungs- und Umstrukturierungsprozesses in sanierungsfähigen Genossenschaften und Betrieben ist eine der vordringlichsten Aufgaben, die das MELF zu lösen hat. Dazu zählt auch die Unterstützung der Nachfolgebewirtschaftung durch Neugründungen im Falle der Auflösung oder des Konkurses von Genossenschaften. Dafür werden zusätzliche Mittel aus dem Staatshaushalt bereitgestellt.
Die Broschüre „Agrarpolitische Mitteilungen“ Nr. 6/90 vom 15. August 1990 informiert über das „Investitionsförderungsprogramm zugunsten bäuerlicher Familienbetriebe und zur Umstrukturierung von LPG“.
Quelle: BArch, DQ 1/26748, Band 1 (pdf)Information vom 7. September 1990 von Staatssekretär Schwarze an den Leiter der Zentralabteilung, Herrn Simon, über Problemberatungen in LPG und Schlussfolgerungen.
Quelle: BArch, DK 1/28260 (pdf)Entwicklung der Landwirtschaft nach der deutschen Einheit
Sowohl die Produktion als auch die Zahl der Beschäftigten in der ostdeutschen Landwirtschaft gehen nach der Wiedervereinigung drastisch zurück. Bestehende Rechtsunsicherheiten und weiterhin notwendige Umstrukturierungen stellen eine große Herausforderung für die ländliche Bevölkerung dar. Um die durch EG-Richtlinien vorgeschriebene Reduzierung der Erzeugung zu erreichen, werden viele (minderwertige) landwirtschaftliche Nutzflächen stillgelegt. Die Stilllegung wird finanziell subventioniert. Auch die Flächennutzungsstruktur ändert sich erheblich. So geht beispielsweise der Anbau von Futterpflanzen, Kartoffeln und Zuckerrüben stark zurück. Auch die Tierbestände, insbesondere bei Rindern, Schweinen, Schafen und Hühnern werden deutlich reduziert. Aufgrund des starken Rückgangs der Produktion gehen in den neuen Bundesländern in den folgenden Jahren mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze im Bereich der Landwirtschaft verloren.
Beispiel Mecklenburg-Vorpommern
In dem Artikel „Die Landwirtschaft in der DDR und nach der Wende“ von Kai Brauer, Frank Ernst und Andreas Willisch werden die Veränderungen für das besonders auf Landwirtschaft ausgerichtete Mecklenburg-Vorpommern für die Zeit zwischen 1989 und 1991 folgendermaßen beziffert:
„Von 1,5 Mill. ha landwirtschaftlicher Nutzfläche sind 14% durch Stillegung (114.00 ha) der Nutzung entzogen. Der Getreideanbau verringerte sich um 19%, der von Kartoffeln um 63%. Raps wird im Gegensatz dazu um 27% mehr angebaut. In der Rinderhaltung beträgt das Minus 43%, in der Schweineproduktion 58% und bei den Schafen 80%. (…) Die Anzahl der Beschäftigten sank von 194.534 auf 76.354.“