Das Sozialversicherungsgesetz (SVG)
Im Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion werden in Kapitel IV, Artikel 18 die Grundsätze zur Reform der DDR-Sozialversicherung festgelegt:
Zur konkreten Ausgestaltung der Grundsätze gründet sich eine Arbeitsgruppe mit Fachleuten aus dem MfAS und dem BMA, die gemeinsam ein Sozialversicherungsgesetz (SVG) entwerfen. Neben der Änderung der rechtlichen Grundlagen erfordert die Reform der Sozialversicherung auch eine schrittweise Anpassung der Organisationsstrukturen. Als Vorbild dient die Sozialversicherung der Bundesrepublik. Dementsprechend umfasst die Sozialversicherung der DDR folgende Versicherungszweige:
Mit dieser Umstellung verlieren die Versicherungen des FDGB, der Gewerkschaften und der Betriebsgewerkschaftsorganisationen ihre Wirksamkeit. Da die Schaffung eigenständiger Versicherungsträger erst für den 1. Januar 1991 vorgesehen ist, fällt die Verantwortlichkeit für die Renten- und Unfallversicherung dem MfAS zu, während die Krankenversicherung dem Ministerium für Gesundheitswesen (MfG) übertragen wird. Die Finanzierung der Versicherungszweige soll aus dem Staatshaushalt herausgelöst und durch Beiträge der Versicherten sowie der Arbeitgeber gewährleistet werden. Zur Überbrückung etwaiger Deckungsausfälle werden für das 2. Halbjahr 1990 vom Ministerium für Finanzen zusätzliche Mittel aus dem Staatshaushalt zur Verfügung gestellt.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 27. Juni 1990.
Quelle: Volkskammer der DDR, Drucksache 70/1a, 27. Juni 1990. (pdf)Gesetzestext des am 28. Juni 1990 von der Volkskammer beschlossenen Sozialversicherungsgesetzes (SVG).
Quelle: Volkskammer der DDR, Drucksache 70/1, 13. Juni 1990. (pdf)Im Juli 1990 hebt der Ministerrat einige ältere Beschlüsse über die soziale Sicherung ausscheidender Ministerratsmitglieder auf und legt die Anwendung der Bestimmungen des AFG und des SVG auf ausscheidenden Personen fest.
Quelle: Privatarchiv Winfried Pautz (pdf)Ein zentraler Bestandteil des SVG ist der Sozialzuschlag für Personen, deren Renten nach der Währungsangleichung den gesetzlichen Mindestbetrag von 495 DM nicht übersteigen. Auf diesen Zuschlag sind im Mai 1990 83.000 Männer und 914.000 Frauen in der DDR angewiesen. Diese insgesamt 997.000 Rentenbezieher sind durchschnittlich auf 130 DM zusätzlich im Monat angewiesen, was einen Finanzierungsbedarf von 780 Mio. DM für das 2. Halbjahr 1990 bedeutet. Wegen der schlechten Finanzlage der DDR und Problemen bei der Währungsumstellung erhalten viele Rentner ihre Zahlungen im Juli und August 1990 verspätet.
Das Rentenangleichungsgesetz
In der DDR existiert bis Mitte 1990 ein Altersvorsorgesystem, das in drei unterschiedliche Bereiche untergliedert ist:
Kurz nach den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 beginnen die Gespräche über die Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion, bei denen unter anderem die Möglichkeiten zur Überführung der Ansprüche aus der DDR-Altersvorsorge in das Rentensystem der Bundesrepublik verhandelt werden. In den Ressortverhandlungen des BMA mit dem MfAS werden folgende Regelungen zur Rentenversicherung gefasst:
Das Rentenniveau
Der Umtausch der Renten im Verhältnis 1 zu 1 von DDR-Mark zu D-Mark hätte zu einer massiven Verarmung der DDR-Rentner geführt, da das Rentenniveau in der DDR sehr niedrig war. Doch auch die im Vertrag über die Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion festgelegte Untergrenze von 70 % des DDR-Durchschnittseinkommens von 960 DDR-Mark (entspricht ca. 700 DM) ist angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten nicht ausreichend. Aus diesem Grund werden bis 1996 die Renten an das westdeutsche Niveau angepasst. Nach dem Ende des Anpassungsprozesses verfügen die ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner durchschnittlich über etwa 1.700 DM.
Von den Angleichungsmaßnahmen sind etwa 2,9 Millionen Rentnerinnen und Rentner in der DDR betroffen. In seinem Redebeitrag zur 1. Lesung des Rentenangleichungsgesetzes schätzt Staatssekretär Alwin Ziel die Kosten für die Maßnahmen auf 3,2 Milliarden DM im zweiten Halbjahr 1990 und noch einmal den doppelten Betrag im Jahr 1991. Gesondert behandelt werden die Rentenansprüche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MfS/AfNS. Am 23. Mai 1990 erlässt der Ministerrat auf seiner 8. Sitzung einen Beschluss zur „Überprüfung der gesellschaftlichen Rechtfertigung von Leistungen aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen“. Damit werden das MdI und das MfAV beauftragt, die bestehenden Sonderversorgungssysteme für ihren jeweiligen Verantwortungsbereich zu prüfen. Für die Überprüfung aller anderen Ministerien ist das MfAS zuständig. Als Ergebnis sollen dem Ministerrat Vorschläge zur
unterbreitet werden.
Vorlage zum Beschluss: Überprüfung der gesellschaftlichen Rechtfertigung von Leistungen aus den Sonder- und Zusatzversorgungssystemen, ohne Datierung.
Quelle: BArch, DQ 3 / 1987 (pdf)Vermerk über die Beratung vom 29. Juni 1990 mit dem Ministerium für Abrüstung und Verteidigung und dem Ministerium des Innern zur Begrenzung der Versorgungsleistungen innerhalb der jeweiligen Verantwortungsbereiche.
Quelle: BArch, DQ 3 / 1987Sonderversorgung (pdf)Basierend auf den Ergebnissen der Untersuchungen erlässt die Volkskammer das Gesetz zur Aufhebung der Versorgungsordnung, in dem festgelegt wird, dass die Rentenansprüche der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatssicherheit um 50% des 495 DM übersteigenden Betrages gekürzt und auf höchsten 990 DM begrenzt werden. Ab Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli 1990 hat damit auch der ehemalige Minister des MfS Erich Mielke lediglich Anspruch auf eine Rente von maximal 990 DM.
Insgesamt bringt die Anpassung der Renten, ein Prozess der ungefähr bis 1996 andauert, den meisten Menschen eine höhere Rente als zu DDR-Zeiten. Trotz der tatsächlichen Aufwertung ist die Rentenumstellung in der Wahrnehmung der meisten Menschen jedoch heute eher negativ besetzt.