Offiziell führt die Jugendhilfe in der DDR ein Nischendasein, da soziale Probleme von Kindern und Jugendlichen in der DDR häufig als temporäre Störungen beim Heranwachsen „sozialistischer“ Persönlichkeiten abgetan werden. Auch aus diesem Grund existiert in der DDR bis 1989 kein professionelles Fürsorgesystem. Von den 26.000 ehrenamtlichen Jugendhelfern, die 1989 in den sogenannten Jugendhilfekommissionen organisiert sind, hat nur knapp die Hälfte eine pädagogische Ausbildung. Die zentralen Zuständigkeiten der Kommissionen liegen in folgenden Bereichen:
Formal ist die Jugendhilfe bis 1989 dem Ministerium für Volksbildung zugeordnet, das seit 1963 von Margot Honecker geleitet wird. Nach ihrem Rücktritt und der Umstrukturierung des Regierungsapparates unter Hans Modrow wird zunächst ein neues Ministerium für Bildung, Jugend und Sport geschaffen. Ende November werden die Bereiche Jugend und Sport ausgegliedert und einem neuen Amt für Jugend und Sport zugeordnet, das beim Ministerrat angesiedelt ist. Im Zuge der Regierungsbildung nach der Volkskammerwahl 1990 wird die Jugendhilfe wiederum dem neu gegründeten Ministerium für Jugend und Sport zugeordnet. Während der Fragestunde der 5. Volkskammersitzung am 26. April 1990 äußert sich Cordula Schubert erstmals öffentlich zu ihren Zielen zur Reform der Jugendpolitik. Diese umfassen vor allem folgende Punkte:
Zudem soll das zentralistisch organisierte Jugendhilfesystem der DDR in föderale Strukturen überführt werden. Dabei sollen die Kommunen und Länder eine zentrale Stellung einnehmen. Staatliche Einrichtungen wie Kindergärten sollen, wenn möglich, in private Trägerschaften überführt und von diesen unterhalten werden.
Um die Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe zu koordinieren und abzustimmen, konstituiert sich am 1. Juni 1990 eine „AG Jugendhilfe“, an der das Ministerium für Jugend und Sport sowie verschiedene Bundesministerien und kommunale und private Einrichtungen der Jugendhilfe beteiligt sind. Um alle wichtigen Bereiche abzudecken, werden sieben Untergruppen gegründet:
Die unmittelbaren Ziele der Jugendarbeit in der DDR bestehen zu dieser Zeit aber vor allem in der Sicherung der bestehenden Einrichtungen, der Schaffung von Rahmenbedingungen für die Etablierung und Förderung freier Träger, der Bereitstellung neuer Strukturen zur Fort- und Weiterbildung sowie in der Bekämpfung aufkommender Jugendarbeitslosigkeit.
Protokoll der konstituierenden Sitzung der deutsch-deutschen Arbeitsgruppe „Jugendhilfe“ vom 1. Juni 1990.
Quelle: BArch, DR 5 / 2814 (pdf)Beschlussempfehlung des Ausschusses für Jugend und Sport der Volkskammer vom 4. Juli 1990 zur Besetzung neuer Stellen im Bereich Jugendhilfe.
Quelle: Drucksache 129a, Volkskammer der DDR (pdf)Rede der Ministerin vor den Verantwortlichen für Jugendhilfe/Jugendhilfe der Bezirksverwaltungen am 29. Juni 1990.
Quelle: BArch, DR 5 / 2804 (pdf)Am 12. Juli 1990 begründet Cordula Schubert in einer Rede vor der Volkskammer das Gesetz zur Errichtung der Strukturen eines neuen Kinder- und Jugendhilferechtes (Jugendhilfeorganisationsgesetz). Damit sollen die Grundlagen geschaffen werden, um die Übernahme des Kinder- und Jugendhilferechtes der Bundesrepublik zu gewährleisten. Bereits am 26. Juni 1990 hatte der Bundestag eine Neufassung des Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechtes (KJHG) beschlossen, das als Grundlage für die DDR übernommen werden sollte.
Eine zentrale Neuerung im Jugendhilfeorganisationsgesetz ist der flächendeckende Aufbau von Jugendämtern in den Kommunen. Diese sollen die staatliche Jugendpolitik in kommunaler Selbstverwaltung umsetzen. Gleichzeitig sollen zahlreiche Aufgaben, die vormals staatlich gelenkt wurden, in private Trägerschaften übergehen. Um den Aufbau neuer Strukturen auf dem Gebiet der DDR zu beschleunigen, werden in Artikel 32 des Einigungsvertrages den Trägern der Freien Wohlfahrt und Jugendhilfe besondere Fördermaßnahmen zugesichert.