Eine der wichtigsten Forderungen der Friedlichen Revolution ist die juristische und moralische Rehabilitierung von Opfern der SED-Diktatur.
Unter dem öffentlichen Druck der Bevölkerung versucht die SED-Führung noch im Herbst 1989 mit einzelnen Maßnahmen den Forderungen nachzukommen. Dazu gehört der Amnestiebeschluss vom 27. Oktober 1989, mit dem alle wegen „Republikflucht“ verurteilten Häftlinge aus dem Strafvollzug entlassen werden. Damit wird in der DDR die bislang hart verfolgte Flucht und Fluchtvorbereitung entkriminalisiert, auch wenn die Abschaffung der entsprechenden Paragraphen des Strafgesetzbuches erst im Sommer 1990 erfolgt.
Die Rehabilitierung von Opfern politischer Strafjustiz beschränkt sich zunächst auf SED-Mitglieder, die vor allem in den 1950er und 1960er Jahren von der offiziellen Parteilinie abgewichen und verurteilt worden waren. Prominente Beispiele sind der Schriftsteller Walter Janka und Wolfgang Harich, deren Urteile im Januar bzw. März 1990 vom Obersten Gericht der DDR aufgehoben werden. Gleichwohl sind diese Entscheidungen vor allem symbolischer Natur, da sie über ein Kassationsverfahren vollzogen werden, wofür der Nachweis eines formalen Rechtsfehlers ausreichend ist. Eine politische und moralische Aufarbeitung des Strafrechts tritt dabei in den Hintergrund.
Die Abschaffung des politischen Strafrechts wird parallel dazu seit Anfang 1990 am Zentralen Runden Tisch und in der Modrow-Regierung intensiv diskutiert. Erst nach den Volkskammerwahlen folgen daraus unter der Regierung de Maizière praktische Konsequenzen. Als erstes Ergebnis werden mit Beschluss des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 29. Juni 1990 viele der einschlägigen Paragraphen abgeschafft. Darunter fallen beispielsweise die Straftatbestände „ungesetzlicher Grenzübertritt“ (§213) für Flucht und Fluchtvorbereitung oder kritische Meinungsäußerungen, die bislang als „Rowdytum“ (§215) oder „Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten“ (§249) verfolgt wurden.
Rehabilitierung
Urteile, die aufgrund der abgeschafften Paragraphen erfolgten, sollen durch ein geplantes Rehabilitierungsgesetz aufgehoben werden. Zudem sollen die Betroffenen aus der Rehabilitierung einen Anspruch auf Entschädigung für das erlittene Unrecht ableiten können.
Zahlreiche ehemalige politische Häftlinge und Opferverbände aus Ost und West wenden sich an den Ministerpräsidenten bzw. den Justizminister und beteiligen sich auf diese Weise am Gesetzgebungsprozess. Die Ausarbeitung und Verabschiedung des Rehabilitierungsgesetzes erweist sich jedoch als kompliziert.
Am 31. August 1990 wird der Einigungsvertrag unterzeichnet. Die Regierung de Maizière und Opferverbände drängen darauf, dass das in der Volkskammer vorbereitete Rehabilitierungsgesetz auch nach der Wiedervereinigung Gültigkeit behalten soll. Die Bundesregierung lehnt dieses Ansinnen mit Blick auf die nur schwer abzuschätzenden Kosten ab. Beide Vertragsparteien verständigenden sich darauf, nur die grundsätzliche Entschädigungsverpflichtung im Einigungsvertrag festzuschreiben. Deren konkrete Ausgestaltung wird jedoch offen gelassen. So heißt es in Artikel 17 des Einigungsvertrages: „Die Vertragsparteien bekräftigen ihre Absicht, daß unverzüglich eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wird, daß alle Personen rehabilitiert werden können, die Opfer einer politisch motivierten Strafverfolgungsmaßnahme […] geworden sind. Die Rehabilitierung dieser Opfer des SED-Unrechts-Regimes ist mit einer angemessenen Entschädigungsregelung zu verbinden.“
Das Rehabilitierungsgesetz wird schließlich am 6. September 1990 von der Volkskammer verabschiedet. Es sieht sowohl die strafrechtliche als auch verwaltungsrechtliche sowie berufliche Rehabilitierung vor und ebnet den Weg für Ausgleichsleistungen. Dieses weitreichende Gesetz ruft bei den bundesdeutschen Vertretern allerdings Bedenken hervor. Daher wird der Anwendungsbereich des Gesetzes schließlich auf den strafrechtlichen Teil eingeschränkt, was in Art. 3 der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag vom 18. September 1990 festgehalten wird. Rehabilitiert werden können demnach diejenigen Personen, die strafrechtlich verfolgt worden waren, obwohl sie durch die DDR-Verfassung garantierte Grund- und Menschenrechte wahrgenommen hatten. Damit verbunden ist ein Anspruch auf Entschädigung und die Berücksichtigung der Haftzeiten in der Rentenversicherung. Auch wenn diese ersten Bestimmungen nur einen Teil der politisch motivierten Strafrechtspraxis in der DDR berücksichtigen, bilden sie die Grundlage für die späteren SED-Unrechtsbereinigungsgesetze, die seitdem für die Wiedergutmachung und Rehabilitierung der Opfer der SED-Diktatur gelten.
Entwurf des Rehabilitierungsgesetzes vom 28. Juni 1990.
Quelle: BArch, DP 2/2672, pag. 186-200 (pdf)Hinweise zu fehlenden Fallgruppen von Staatssekretär Klaus Kinkel im bundesdeutschen Justizministerium zum Entwurf des Rehabilitierungsgesetzes (Stand 8. Juni 1990) vom 29. Juni 1990
Quelle: BArch, DC 20/6721, pag. 90-92 (pdf)Stellungnahme von Staatssekretär Klaus Kinkel im bundesdeutschen Justizministerium zum Entwurf des Rehabilitierungsgesetzes (Stand: 28. Juni 1990) vom 3. Juli 1990.
Quelle: BArch, DC 20/6721, pag. 81-89 (pdf)Eingaben zum RehaG: Schreiben vom Dachverband Stalinistisch Verfolgter an den Ministerpräsidenten in Reaktion auf den Entwurf des Rehabilitierungsgesetzes vom 17. Juli 1990.
Quelle: BArch, DC 20/6720 (pdf)Schreiben von Staatssekretär Nissel an die Vorsitzenden der Volkskammer-Fraktionen vom 13. September 1990 bzgl. Nachverhandlung RehaG im Einigungsvertrag.
Quelle: BArch, DC 20/6032, pag. 30-36 (pdf)Rehabilitierungsgesetz vom 6. September 1990.
Quelle: Gesetzblatt der DDR 1990, Teil I, Nr. 60, S. 1459-1465 (pdf)Art. 17, Einigungsvertrag
Quelle: Gesetzblatt der DDR 1990, Teil I, Nr. 64, S. 1634 (pdf)Art. 3 der Zusatzvereinbarung zum Einigungsvertrag
Quelle: Gesetzblatt der DDR 1990, Teil I, Nr. 64, S. 1980 (pdf)