Wissenschaft, Forschung und Entwicklung sind in der DDR institutionell eng miteinander verzahnt und unterscheiden sich in ihrer Organisation deutlich von den Strukturen in der Bundesrepublik. Bis zur Vereinigung beider Staaten werden daher grundlegende Entscheidungen getroffen, die auf eine vollständige Reorganisation der ostdeutschen Strukturen hinauslaufen. Dies hat insbesondere für den Bereich Industrieforschung weitreichende Konsequenzen.
Forschungsminister Frank Terpe trifft am 23. April zum ersten Mal mit Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber zusammen, um über das Zusammenwachsen von Forschung und Technologie in Deutschland zu beraten. In der Folge finden monatliche Treffen beider Minister statt und auch auf der Ebene der Mitarbeiter gibt es eine intensive Zusammenarbeit. Zu diesem Zweck wird ein gemeinsames Arbeitssekretariat in Berlin gebildet, das den Austausch von Mitarbeitern beider Ministerien fördert sowie Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen für MFT-Mitarbeiter organisiert.
Vorrangiges Ziel der Forschungspolitik ist es, die Nutzung der Forschung in allen Bereichen der Wirtschaft zu intensivieren. Dafür müssen sowohl der rechtliche Rahmen als auch die finanziellen Grundlagen geschaffen werden. Darüber hinaus geht es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Diese sind in der naturwissenschaftlichen Forschung und Technologieentwicklung insgesamt eher schwierig. Daran haben nicht nur die politisch-ideologischen Vorgaben, sondern vor allem das CoCom-Embargo wesentlichen Anteil, was exemplarisch am Bereich der Mikroelektronik – einem bevorzugten Gebiet der DDR-Forschungspolitik – verdeutlicht werden kann: Auf der CoCom-Liste stehen fast alle Erzeugnisse der Hochtechnologie, sodass reguläre Importe von leistungsstarken Computern und Anlagen zur Mikroelektronik-Herstellung unmöglich sind. Daher investiert die DDR in den 1970er und 1980er Jahren rund 15 Milliarden Mark in den Aufbau einer eigenen Mikroelektronikindustrie. Doch die Bilanz Anfang 1990 ist ernüchternd: Der erreichte technische Standard liegt deutlich unter dem Niveau der Bundesrepublik und anderer westlicher Länder. Zudem sind die DDR-Technologieprodukte zu teuer in der Herstellung und damit auf dem freien Markt nicht konkurrenzfähig.
Aber nicht nur technischer Rückstand und mangelhafte Ausstattung sind ein Problem. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ist die Lage der rund 140.000 Beschäftigten in den Bereichen Forschung und Entwicklung (FuE) gekennzeichnet von:
Übersicht der Anzahl Beschäftigter in den Bereichen Forschung und Entwicklung in der DDR 1989. (Stand: Februar 1990)
Quelle: Quelle: BArch, DR 4/94Zur Stabilisierung der Lage werden von Mai bis Juli umfangreiche Maßnahmen eingeleitet, die zwischen dem MFT und dem BMFT abgestimmt sind. Diese umfassen:
Per Ministerratsbeschluss vom 20. Juni 1990 werden die Unternehmen ihrerseits dazu angehalten, bei der notwendigen Sanierung ihrer Betriebe die bisherigen Forschungsprofile zu bereinigen und neu auszurichten. Für neue Projekte kann dann ein Förderantrag beim MFT gestellt werden. Um den Wissensaustausch anzuregen und eine Auslastung der vorhandenen FuE-Kapazitäten zu erzielen, werden außerdem Anreize für gemeinsame Forschungsprojekte mit bundesdeutschen Einrichtungen geschaffen. Der Ansatz ist durchaus lukrativ für beide Seiten und schon bald werden zahlreiche Verbundprojekte von Forschungseinrichtungen und Betrieben der DDR mit bundesdeutschen Partnern auf den Weg gebracht wie beispielsweise mit den Fraunhofer-Instituten.
Parallel dazu werden auf internationaler Ebene neue Kontakte zu Vertretern der Europäischen Gemeinschaft (EG) in Brüssel geknüpft. Bereits Ende Mai 1990 unternimmt Staatssekretär Dieter Pötschke mehrere Reisen, um die europäischen Partner kennenzulernen und die nötigen Strukturen aufzubauen, die eine Teilhabe an den EG-Programmen ermöglichen. In den Gesprächen geht es unter anderem um den schrittweisen Abbau der CoCom-Bestimmungen, die Einbeziehung von DDR-Wissenschaftlern in die EG-Arbeit sowie deren Mitwirkung in europäischen Forschungsprogrammen. Im Zuge des Einigungsprozesses müssen zudem alle bestehenden bi- und multilateralen Verträge der DDR mit den RGW-Ländern auf dem Gebiet der Forschung und Technologie überprüft und neu bestimmt werden. Dies erfolgt in enger Abstimmung mit dem BMFT, der EG und der UNO.
Mitteilung vom 8. Mai 1990 über Ergebnisse der gemeinsamen Klausurtagung von MFT und BMFT inklusive Aktionsplan.
Quelle: BArch, DF 4/32267 (pdf)Pressemitteilung des MFT anlässlich eines Treffens von Forschungsminister Terpe mit Bundesforschungsminister Riesenhuber am 21. Mai 1990 in Berlin.
Quelle: BArch, DC 20/6248 (pdf)Bericht vom 9. Juli 1990 über Gespräche von Staatssekretär Pötschke bei der EG-Kommission in Brüssel am 21./22. Mai sowie am 28. Mai inklusive vier Anlagen.
Quelle: BArch, DF 4/32096 (pdf)Übersicht über die Anzahl der Projekte, über deren Förderung im 2. Halbjahr 1990 und das Jahr 1991 das MFT und BMFT verhandeln. (ohne Datum)
Quelle: BArch, DF 4/32015, Band 1 (pdf)Pressemitteilung vom 5. Juni 1990 über flankierende Maßnahmen des BMFT zur Förderung junger Technologieunternehmen und des Aufbaus von Technologiezentren in der DDR.
Quelle: BArch, DF 4/32175, Band 3 (pdf)Information des Ministeriums für Forschung und Technologie zum Auf- und Ausbau von Technologiezentren auf dem Gebiet der DDR vom 19. Juni 1990.
Quelle: BArch, DF 4/32231 (pdf)Stellungnahme der Kammer der Technik zu den Förderprogrammen für Forschung und Entwicklung vom 4. Juli 1990.
Quelle: BArch, DF 4/32175, Band 1 (pdf)Konzeptpapier von Minister Terpe zu Forschungspolitik und Forschungsförderung vom 10. Juli 1990.
Quelle: BArch, DF 4/32261 (pdf)Aktennotiz mit Anlage vom 16. Juli 1990 über die Regelungen zur Zukunft der Verträge der DDR über die wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit mit Drittstaaten.
Quelle: BArch, DF 4/32175, Band 1 (pdf)Weitere Förderprogramme zur Rettung der Industrieforschung
Infolge der Anpassungsschwierigkeiten vieler Betriebe beim Übergang zur Marktwirtschaft spitzt sich die Situation in der Industrieforschung seit Juli 1990 noch einmal zu. Aufgrund der neuen internationalen Konkurrenz bei gleichzeitigem Verfall der bisherigen Absatzmärkte geht die Nachfrage nach den Leistungen selbständiger und unternehmenseigener Forschungseinrichtungen drastisch zurück. Die Industriebetriebe selbst finden meist nur als Produktionsstätten neue Eigentümer – an den Forschungsbereichen besteht wenig Interesse.
Daher wird Ende August ein weiteres Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, um den Aufbau sowohl von privaten Forschungseinrichtungen als auch eines neuen Mittelstandes mit innovativen technologieorientierten Unternehmen zu unterstützen. Zu diesem Zweck treten am 1. September drei weitere Förderprogramme in Kraft:
Wissenschaft und Forschung im Einigungsvertrag
In Artikel 38 des Einigungsvertrages werden die allgemeinen Rahmenbedingungen für die Neuordnung von Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der künftigen neuen Bundesländer festgelegt. Dabei wird betont, dass Wissenschaft und Forschung auch im vereinten Deutschland „wichtige Grundlagen für Staat und Gesellschaft“ bilden. Der Vertrag legt insbesondere Eckwerte und Leitlinien für die Umstrukturierung der institutionellen Forschungslandschaft fest:
Die Folgen der Regelungen für die Akademie der Wissenschaften sind gravierend. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nimmt die Erneuerung der Forschungslandschaft erst richtig Gestalt an. Für die Zukunft der Forschungseinrichtungen und Institute sind aufgrund der Kompetenzverteilung die neuen Bundesländer zuständig. Zahlreiche Einrichtungen bleiben nach den überwiegend positiven Evaluierungen durch den Wissenschaftsrat erhalten oder werden in bestehende bundesdeutsche Forschungsgemeinschaften eingegliedert. Allein mit Blick auf den Personalabbau leidet die Industrieforschung am meisten unter der Neuorganisation der Forschungslandschaft. Positiv hervorzuheben ist zudem, dass sich die materiellen Forschungsbedingungen in den neu gegründeten Instituten in Ostdeutschland deutlich verbessern.
Vereinbarung zwischen dem Bundesminister für Forschung und Technologie und dem Minister für Forschung und Technologie zur Vorbereitung des Vereinigungsvertrages (ohne Datum).
Quelle: BArch, DF 4/32165, Band 1 (pdf)Information vom 8. August 1990 über das gemeinsame Bemühen von BMFT und MFT, den Erhalt der Arbeitsverhältnisse der AdW-Mitarbeiter im Einigungsvertrag zu verankern.
Quelle: BArch, DF 4/32218, Band 1 (pdf)Vermerk über das Gespräch zwischen dem Minister für Forschung und Technologie der DDR, Frank Terpe und dem Bundesminister für Forschung und Technologie, Heinz Riesenhuber am 13. August 1990.
Quelle: BArch, DF 4/32367 (pdf)Beispiel: Der erste Technologiepark in den neuen Bundesländern
Der erste Technologiepark in den neuen Bundesländern entsteht 1990 direkt auf dem Gelände in der Wuhlheide, auf dem auch das MFT seinen Sitz hat. Das ist kein Zufall. Es geht aus dem Technologie- und Ausstellungszentrum (TAZ) und dem Rechenzentrum des MFT hervor. Das TAZ war erst kurz zuvor auf Initiative von Peter-Klaus Budig eingerichtet worden. Budig leitet das Ministerium während der Umbruchszeit von Oktober 1989 bis März 1990. Nach dem Amtswechsel wird im MFT an einem Konzept zur Umwandlung des TAZ in eine Kapitalgesellschaft, die Innovationspark Wuhlheide GmbH, gearbeitet. Als Technologie- und Gründerzentrum soll die GmbH neugegründeten Unternehmen Raum und Unterstützung geben und so langfristig den Standort „Innovationspark Wuhlheide“ aufbauen. Ende September 1990 sind die notwendigen rechtlichen Schritte abgeschlossen und das TAZ aus dem MFT ausgegliedert. Nach der Wiedervereinigung erhält das Technologiezentrum finanzielle Unterstützung durch die entsprechenden Förderprogramme des dann gesamtdeutschen Bundesforschungsministeriums. Bereits Ende 1990 sind im Technologie- und Gründerzentrum 34 Unternehmen registriert, darunter befinden sich viele neugegründete Firmen. Der „Innovationspark Wuhlheide“ entwickelt sich im vereinten Deutschland zu einem wichtigen Standort für die mittelständische Wirtschaft im Bereich der Zukunftstechnologien.
Brief von Minister Terpe an Ministerpräsident de Maizière vom 10. August 1990 über zu lösende Aufgaben beim Rechtsträgerwechsel. Im Anhang: Zwei Briefe der IGEBA GmbH zur Problematik ungeklärter Besitzverhältnisse vom 8. und 10. August 1990.
Quelle: BArch, DF 4/32247 (pdf)Brief von Staatssekretär Weber vom 27. August 1990 an den Leiter des Zentralinstituts für Information Och mit Auftrag zur Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft. Anlage: Verfügung von Minister Terpe.
Quelle: BArch, DF 4/32247 (pdf)Brief des Parlamentarischen Staatssekretärs Weber an den Präsidenten der Treuhandanstalt Rohwedder vom 27. August 1990 bezüglich Umwandlung der Einrichtungen Zentralinstitut für Information und Dokumentation, TAZ und Rechenzentrum in Kapitalgesellschaften bis zum 30. September 1990. Quelle: BArch, DF 4/32247
Quelle: BArch, DF 4/32247 (pdf)Mitteilung vom 1. Oktober 1990 an Staatssekretär Weber über erfolgte Ausgliederung des Technologie- und Ausstellungszentrums, des Rechenzentrums sowie des Zentralinstituts für Information und Dokumentation aus dem MFT und Umwandlung in andere Rechtsträgerformen. Im Anhang: Vollmacht für Klaus Hermann.
Quelle: BArch, DF 4/32247 (pdf)