Ende der achtziger Jahre wird der Leistungssport in der DDR hochgradig subventioniert, während der Freizeitsport zunehmend vom Verfall der Sportstätten und Sparmaßnahmen betroffen ist. Die meisten Sporttreibenden in der DDR sind in Betriebssportgemeinschaften (BSG) oder im Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) organisiert. Der Spitzensport wird über ein landesweites Netzwerk von Leistungszentren systematisch gefördert, in denen Sportlerinnen und Sportler speziell ausgebildet und trainiert werden.
Mit dem Fall der Mauer verlieren die DDR-Sportfunktionäre zunehmend die Kontrolle sowohl über den Breiten- als auch den Spitzensport. Während auf regionaler Ebene alte Kontakte zwischen Sportvereinen in Ost und West wieder aufgenommen werden, entschließen sich zahlreiche DDR-Spitzensportler, zu Vereinen in der Bundesrepublik zu wechseln.
Die Auflösung des Deutschen Turn- und Sportbundes
Bereits Ende November 1989 leitet die Regierung Modrow mit der Umstrukturierung der Zuständigkeiten und dem schrittweisen Abbau der Subventionen das Ende des traditionellen Sportsystems der DDR ein.
Von den Veränderungen ist besonders der zentralistisch organisierte DTSB betroffen, der bis dahin über die Zuweisung der staatlichen Finanzmittel an die unterschiedlichen Sportarten entscheidet. Öffentlich kritisiert werden zudem die mangelnde demokratische Legitimation der Sportfunktionäre und die Vergangenheit des Verbandes als sportpolitisches Machtinstrument der SED.
Bis zur Volkskammerwahl im März 1990 gelingt es dem Verband, trotz der Wahl eines neuen Präsidenten nicht, demokratische Reformen einzuleiten. Zudem wird ein im April 1990 bei der Volkskammer gestellter Antrag auf Anerkennung des DTSB als gemeinnützige Organisation negativ beschieden, da der Verband zu diesem Zeitpunkt über keine demokratische Satzung verfügt. Mitte Mai 1990 gibt die neue Ministerin für Jugend und Sport, Cordula Schubert, eine Erklärung ab, in der sie ihre Pläne zur Wiederherstellung der Autonomie des Sports vorstellt. Die Vorhaben umfassen unter anderem die umfassende Entmachtung des DTSB-Apparates und die Einziehung der Vermögensbestände des Verbandes.
Zukünftig sollen die staatlichen Sportfördermittel in Höhe von etwa 334 Millionen Mark der DDR nicht mehr an den DTSB ausgeschüttet, sondern direkt an die Fachverbände geleitet werden. Damit entzieht Cordula Schubert dem DTSB die Hoheit über die staatlichen Haushaltsmittel und die Finanzierungsgrundlage für die hauptamtlichen Mitarbeiter des Verbandes. Die Ankündigungen von Cordula Schubert veranlassen den DTSB, öffentlich den Rücktritt der Ministerin zu fordern.
Schreiben des DTSB-Präsidenten Martin Killian an Sabine Bergmann-Pohl mit der Bitte zur Unterstützung des Antrages auf Anerkennung als gemeinnützige Organisation vom 29. Mai 1990.
Quelle: BArch, DY 12 / 4081 (pdf)Schreiben des DTSB-Präsidenten Martin Killian an Cordula Schubert mit der Bitte zur Aufstockung der finanziellen Mittel des DTSB vom 20. Juni 1990.
Quelle: BArch, DY 12 / 4081 (pdf)Aufgrund der finanziellen Probleme muss der DTSB im Sommer 1990 einen Großteil seiner 10.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. Zudem bricht in dieser Phase der Sportbetrieb in der DDR zusammen, da der DTSB fast alle Finanzmittel zur Bezahlung der noch verblieben Angestellten aufbringen muss. Um die Entlassungen sozialverträglich abzufangen, richten MfAS und MfJS im August 1990 gemeinsam ein Beschäftigungsprogramm im Bereich Körperkultur und Sport ein. Damit soll den entlassenen Trainern, Sportlehrern, Physiotherapeuten und Sportmedizinern eine berufliche Perspektive aufgezeigt werden.
Vorschlag für ein Sportsicherungsprogramm mit einem Volumen von 42 Millionen DM vom 15. Juni 1990.
Quelle: BArch, DA 1 / 17535 (pdf)In allen Bezirken protestieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegen die Massenentlassung. Das Dokument zeigt eine exemplarische Protestresolution der hauptamtlichen Mitarbeiter der Bezirksorganisation Schwerin des DTSB gegen den Personalabbau vom 4. Juli 1990.
Quelle: BArch, DY 12 / 4081 (pdf)Merkblatt zur Beantragung einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) im Bereich Sport, 3. August 1990.
Quelle: BArch, DY 12 / 4081 (pdf)Parallel verhandelt der DTSB mit dem westdeutschen Pendant, dem Deutschen Sport Bund (DSB), über eine Vereinigung. Nach mehreren gemeinsamen Treffen einigen sich beide Verbände am 28. Juni 1990 auf ein Beitrittsverfahren, das folgende Schritte umfasst:
Entsprechend der Maßgaben gründet sich am 15. September 1990 der erste Landessportbund der DDR in Brandenburg. Nur wenige Wochen später, am 5. Dezember 1990, löst sich der DTSB selbst auf.
Die Entflechtung der Sportstrukturen
Neben dem Ende der Subventionierung und der Einrichtung föderaler Strukturen sollen auch dem Ministerium und DTSB nachgeordnete Einrichtungen entweder in andere Rechtsträgerschaften überführt, privatisiert oder geschlossen werden. Mit diesen Maßnahmen werden bisher zentral gelenkte sportpolitische Aufgaben in autonom agierende und selbstverwaltete Strukturen überführt. Zudem zielen die Umstrukturierungen auf die Abschaffung doppelter Strukturen in Ost und West ab.
Während Institutionen wie die Deutsche Hochschule für Köperkultur (DHfK) oder der Sportmedizinische Dienst (SMD) in kommunale Trägerschaft überführt werden, strebt das MfJS die Ausgliederung von Betrieben wie dem Technischen Zentrum Geräte und Anlagen (TZGA) oder dem Wissenschaftlich-Technischen Zentrum Sportbauten (WTZ) an.
Entscheidungen über den zukünftigen Status der nachgeordneten Einrichtungen im Bereich Sport und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Ministerium für Jugend und Sport, ohne Datierung.
Quelle: BArch, DR 5 / 2812 (pdf)In einem Schreiben wenden sich die Mitarbeiter der Sportschule Rabenberg am 14. Mai 1990 an Ministerin Schubert. Darin bitten sie um finanzielle Unterstützung zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze.
Quelle: BArch, DR 5 / 3289 (pdf)Planungen für das Technische Zentrum Geräte und Anlagen (TZGA), ohne Datierung.
Quelle: BArch, DR 5 / 2812 (pdf)Planungen für den Sportmedizinischen Dienst (SMD), ohne Datierung.
Quelle: BArch, DR 5 / 2812 (pdf)Doch nicht nur die Institutionen, auch die Förderung des Leistungssports steht auf dem Prüfstand. Im Zuge der Privatisierung der Betriebe werden zahlreiche Ausbildungsverträge, die die soziale Absicherung der Leistungssportlerinnen und Leistungssportler garantieren, ausgesetzt bzw. höhere Ansprüche an das Ministerium für Jugend und Sport gestellt. Um Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse aufrechtzuerhalten sollen finanzielle Anreize wie Steuernachlässe vorbereitet werden. Nach der Wiedervereinigung werden zahlreiche Spitzensportler aus der ehemaligen DDR von der Stiftung Deutsche Sporthilfe gefördert.
Ausgangsposition bei Problemen der Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse von DDR-Leistungssportler, ohne Datierung
Quelle: BArch, DR 5 / 3313 (pdf)Vorschlag zur Aufnahme von Regelungen neuer Rechtsvorschriften zur Einordnung von Spitzensportlern in Ausbildungs- und Arbeitsrechtsverhältnissen vom 25. Mai 1990.
Quelle: BArch, DR 5 / 3313 (pdf)Die Verordnung zur Sicherung und Nutzung von Sporteinrichtungen in öffentlichem Eigentum
Im Juni 1990 erlässt der Ministerrat auf Betreiben des MfJS eine Verordnung zur Nutzung und zum Schutz von öffentlichen Sportstätten. Die Verordnung sieht die unentgeltliche Nutzung von Sportstätten durch gemeinnützige Vereine und durch den Behindertensport vor. Des Weiteren wird im Rahmen der Regelungen ein unentgeltliches Übernahmerecht von Sportstätten durch die Kommunen festgeschrieben. Vorrangigen Anspruch auf die Nutzung haben gemeinnützige Einrichtungen und Vereine. Da dem DTSB jedoch keine Genehmigung zur Registrierung als gemeinnützige Vereinigung erteilt wird, hat der Verband keinen unentgeltlichen Zugriff mehr auf die Sportstätten, sondern muss sich mit den betreffenden Vereinen arrangieren bzw. Nutzungsgebühren an die Kommunen zahlen.