Da auf Wunsch der SED alle Menschen in der DDR an Kunst und Kultur teilhaben sollen, wird die Kulturarbeit subventioniert. 1988 gibt der Staat knapp 4 Milliarden Mark für Kultur, Rundfunk und Fernsehen aus, was 1,45% der Gesamtausgaben des Staatshaushaltes entspricht. Dank staatlicher Zuschüsse sind Karten für Theater-, Kino- und Museumsbesuche besonders preiswert. Auch Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sind so günstig, dass sie sich jeder leisten kann. In der DDR gibt es außerdem ein dichtes Netz an Kulturhäusern für Veranstaltungen aller Art, Jugendclubs und Bibliotheken. Doch nicht nur die Teilhabe an Kunst und Kultur wird flächendeckend gefördert, sondern auch die Produktion künstlerischer Werke. So können sich Künstler und Kulturschaffende auf ein staatlich garantiertes Einkommen verlassen. Voraussetzung für eine freischaffende künstlerische Tätigkeit ist die Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler (VBK), der auch eine gewisse Kontrollfunktion auf das künstlerische Schaffen ihrer Mitglieder ausübt. Wer nicht als Mitglied im VBK aufgenommen werden will oder aus politischen Gründen davon ausgeschlossen wird, hat es schwer, seinen Lebensunterhalt mit seiner künstlerischen Tätigkeit zu bestreiten. Der Staat gibt zwar in großer Zahl Werke in Auftrag, jedoch können nur VBK-Mitglieder diese öffentlichen Aufträge erhalten oder in staatlichen Galerien Bilder verkaufen. Staatlich organisiert und finanziert ist außerdem der internationale Kunsthandel. Mit dem Verkauf von Kunstwerken ins Ausland sichert sich die DDR wertvolle und dringend benötigte Devisen. Eine autonome Kunstszene, die sich unter prekären Bedingungen Freiräume außerhalb der staatlichen Strukturen der DDR schafft, erlebt vor allem in den 1970er und 1980er Jahren einen lebhaften Aufschwung.
Die DDR verfügt über eine flächendeckende kulturelle Infrastruktur. So verzeichnet das Statistische Jahrbuch der DDR für 1988 zum Beispiel:
Das staatliche Engagement im Kulturbereich ist von politisch-ideologischen Zielen getragen. Kultur und Kunst sollen den Sozialismus und eine Abgrenzung vom Westen fördern. Mit ihren kulturpolitischen Vorgaben strebt die SED zum einen die Schaffung einer genuin „sozialistischen Kunst“ an. Zum anderen sollen vor allem Kinder und Jugendliche durch das breite und meist kostenfreie Angebot eine umfassende kulturelle Bildung erfahren und so zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ erzogen werden.
Kulturelle Infrastruktur auf dem Prüfstand
Die Zukunft der flächendeckend ausgebauten kulturellen Infrastruktur sowie ihre Finanzierung durch staatliche Subventionen stehen im Frühjahr 1990 auf dem Prüfstand. Angesichts der hohen Staatsverschuldung und dem bevorstehenden Übergang zur Marktwirtschaft müssen neue Wege für die Finanzierung gefunden werden. Eine Aufrechterhaltung der bisherigen staatlichen Subventionierung für alle Bereiche ist unmöglich. Schließungen von Klubhäusern, kleineren Theatern, Bibliotheken und Jugendclubs werden diskutiert. Auch die Künstler und Kulturschaffenden sind ob ihrer eigenen Zukunft unter marktwirtschaftlichen Bedingungen verunsichert.
Die Angst vor einem Kahlschlag in der Kulturlandschaft ist groß. Um auf die ernste Lage in den Kulturinstitutionen und den überall zu beobachtenden Auflösungserscheinungen hinzuweisen, organisieren Kulturschaffende am 17. Juli 1990 eine Protestaktion im Berliner Nikolaiviertel und im Kulturministerium. Unter dem Motto „Die Kultur gibt den Löffel ab“ diskutieren Künstler und Kulturschaffende mit Kulturminister Schirmer über ihre Sorgen und Nöte.
Das Kulturministerium bemüht sich um Schadensbegrenzung. Täglich werden Vertreter größerer und kleiner Einrichtungen beim Kulturminister und seinen Staatssekretären vorstellig, die um finanzielle Hilfen ersuchen. Da jeder Kulturminister der DDR über einen sogenannten Feuerwehrfonds (auch Ministerfonds genannt) verfügt, kann auch Kulturminister Schirmer kurzfristig und unbürokratisch Projekte sowie notwendige Reparatur- und Sanierungsarbeiten unterstützen. Dies trägt punktuell zur Entschärfung der Lage bei. Manchen Einrichtungen verhilft diese Finanzspritze auch zur mittelfristigen Konsolidierung und ermöglicht ihnen ein Weiterbestehen nach dem 3. Oktober 1990.
Der Kulturfonds
Regulär steht zur Förderung kultureller Projekte aller Art und Künstler in der DDR seit 1949 der Kulturfonds zur Verfügung. Damit wird unter anderem die zeitgenössische sozialistische Kunst ebenso gefördert wie das auf Breitenbasis angelegte künstlerische „Volksschaffen“ und die kulturelle „Massenarbeit“. Außerdem werden der Ankauf von Kunstwerken, der Erhalt und teilweise Bau von Theatern, Freilichtbühnen, Kulturhäusern und Klubs sowie der Unterhalt von Arbeits- und Erholungsstätten für Künstler über den Kulturfonds finanziert. Über die Verteilung der Gelder entscheidet ein Kuratorium, die Verwendung erfolgt nach den Richtlinien des Ministeriums für Kultur. Somit ist der Kulturfonds sowohl ein Instrument der sozialen Unterstützung der Künstler und Kulturschaffenden als auch der Durchsetzung kunst- und kulturpolitischer Vorgaben der SED. Der Kulturfond wird aus dem „Kulturgroschen“, einem Aufschlag in Höhe von 5-10 Pfennig, der beim Kauf einer Schallplatte oder einer Eintrittskarte für jegliche Art kultureller Veranstaltungen wie Theater-, Konzert-, Kino- und Museumsbesuche erhoben wird, finanziert. Der „Kulturgroschen“ genießt in der DDR-Bevölkerung eine hohe Akzeptanz und gilt als sinnvolles Instrument der Kulturförderung.
Die Neuausrichtung der Kulturpolitik unter Minister Schirmer wirkt sich auch auf die Vergabe dieser Mittel aus. Seit dem Sommer 1990 erfolgt die Verteilung der Gelder nicht mehr nach dem „Gießkannenprinzip“, sondern richtet sich nach der „Förderungswürdigkeit des Projektes“.
Für den prinzipiellen Erhalt des Kulturfonds setzt sich das MfK bei den Verhandlungen mit der Bundesregierung besonders ein. Den ostdeutschen Verhandlungspartnern gelingt es schließlich, im Einigungsvertrag eine Regelung zu verankern, die den Erhalt des Kulturfonds vorläufig bis 1994 garantiert. Im September 1990 erfolgt die Umwandlung des Kulturfonds in die „Stiftung Kulturfonds“, die von den fünf neuen Bundesländern getragen wird. In den Grundstock des Stiftungsvermögens fließen gemäß einem Beschluss der Regierung de Maizière auch Teile des Parteivermögens der SED/PDS ein.
Die Stiftung Kulturfond existiert bis 2006 und fördert insbesondere die zeitgenössische Kunst in Form von Stipendien und Projektförderung. Das Land Sachsen steigt bereits 1998 aus der Stiftung aus und nimmt seinen Anteil am Stiftungsvermögen mit. Nachdem im Jahr 2004 die Bundesländer Thüringen und Sachsen-Anhalt diesem Beispiel folgen, muss die Stiftung Kulturfonds infolge des damit verbundenen Kapitalverlustes in die Liquidation gehen. Nach mehr als 15 Jahren wird die Stiftung 2006 endgültig aufgelöst.
Die Unterstützung von Einrichtungen aus dem Kulturfonds ist nicht ausreichend. Deshalb beantragt das DDR-Kulturministerium bei der Kulturstiftung der Länder der Bundesrepublik Deutschland finanzielle Hilfen für das laufende Jahr 1990. Das Schreiben an den Präsidenten der Kulturstiftung der Länder der Bundesrepublik Deutschland vom 26. Juni 1990 verdeutlicht, wie prekär die Lage selbst renommierter Einrichtungen wie den Ost-Berliner Theaterstätten ist.
Quelle: BArch, DR 1, 13525, Bd. 2, pag. 389-393 (pdf)Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe Kuratorium des Kulturfonds vom 13. Juli 1990.
Quelle: BArch, DR 1/19417 (pdf)Sicherung der Künstlerförderung für 1990/91 und Umwandlung des Kulturfonds in eine Stiftung. (ohne Datum)
Quelle: BArch, DR 1/90417, pag. 151-152 (pdf)Stiftungsgesetz vom 13. September 1990.
Quelle: Gesetzblatt der DDR, Teil 1, Nr. 61 (pdf)Protokoll der konstituierenden Sitzung der Nationalen Stiftung Kulturfonds am 6. September 1990 in Berlin.
Quelle: BArch, DR 1/90417, pag. 102-104 (pdf)Schreiben von Kulturminister Schirmer an Ministerpräsident de Maizière zwecks Umwandlung des Kulturfonds in die „Stiftung Kulturfonds“ vom 28. September 1990.
Quelle: BArch, DC 20/8957, pag. 305, 307 (pdf)