In den 1980er Jahren befindet sich die DDR in einer Wirtschaftskrise, die nicht nur auf innere Ursachen, sondern auch auf die außenwirtschaftlichen Bedingungen zurückzuführen ist. Besonders die Verteuerung der Erdöl- und Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt machen der DDR-Wirtschaft zu schaffen. Die wachsenden Kosten können nicht an die DDR-Bürger weitergegeben werden, da die soziale Befriedungspolitik nicht gefährdet werden soll. Um den Rohstoffbedarf zu decken, müssen ständig neue Kredite aufgenommen werden, was zu einem kontinuierlichen Anstieg der Schulden führt. Zwar gelingt es der DDR im Laufe der 1980er Jahre, mehrere Bürgschaften für Kredite von der Bundesrepublik zu erhalten, doch ein Anstieg der Verschuldung kann damit nur kurzfristig verhindert werden. Zudem verlieren Ende der 1980er Jahre die Exportprodukte der DDR aufgrund mangelnder Qualität und zu hoher Produktionskosten zunehmend an Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt. Exporte können häufig nur noch in die Länder des Ostblocks erfolgen. Gleichzeitig führen die steigenden Schulden, die sinkenden Einnahmen durch Exporte und die hohen Ausgaben für sozialpolitische Maßnahmen zu einem massiven Rückgang der Investitionen. Dies betrifft nicht nur die Produktion in den Betrieben, sondern auch Dinge wie die Verkehrsinfrastruktur oder das Telefonnetz. Unter den wirtschaftlichen Problemen leidet auch das Angebot an hochwertigen Konsumgütern. Der Verfall der Arbeitsstätten, die marode Infrastruktur sowie das als unzureichend empfundene Konsumniveau sind im Alltagsleben der DDR-Bürger stets präsent. Die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen können die Subventionierung von sozialen Leistungen, Mieten, Energie und Grundnahrungsmitteln nicht mehr aufwiegen.
Während die wirtschaftliche Situation bei den Protesten im Herbst 1989 eine eher untergeordnete Rolle spielt, werden wirtschaftspolitische Fragen im Vorfeld der Volkskammerwahl im März 1990 zentral. Die Mehrheit der DDR-Bürger erhofft sich durch die Wahl der Allianz für Deutschland einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Das neu gegründete Ministerium für Wirtschaft ist dafür zuständig, den Umbau der DDR-Wirtschaft von einer zentral gelenkten Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft zu koordinieren und die dafür notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen. In der Regierungserklärung erläutert Lothar de Maizière am 19. April 1990 auf der 3. Sitzung der Volkskammer die wichtigsten wirtschaftspolitischen Aufgabenfelder:
Auf der darauffolgenden Sitzung der Volkskammer am 26. April 1990 beantwortet der Minister für Wirtschaft, Gerhard Pohl, einige Fragen der Opposition zu den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der Regierung. Dabei stehen vor allem der Schutz des DDR-Binnenmarktes, die Umbewertung der Schulden, der Umgang mit Eigentum sowie die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion im Mittelpunkt.
Fördermaßnahmen und Strukturanpassungen
Um die Betriebe in der DDR auf die Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft vorzubereiten und sie in diesem Prozess aktiv zu unterstützen, erarbeitet das Ministerium für Wirtschaft zahlreiche Förderprogramme und Anpassungsstrategien. Eines der ersten Vorhaben ist ein Maßnahmenkatalog zur Förderung der Industrie und des Binnenhandels, den das MfW gemeinsam mit den Ministerien für Finanzen, Handel und Tourismus erarbeitet. Dieser umfasst unter anderem:
Ende Mai 1990 präsentiert die Treuhandanstalt eine Einschätzung der Wettbewerbsfähigkeit von etwa 2.200 DDR-Betrieben. Der Bericht hält fest, dass etwa 31% der Betriebe wettbewerbsfähig, 42% nur durch erhebliche Strukturanpassungen und 27% akut konkursgefährdet sind. Als Reaktion auf diese Prognose beschließt der Ministerrat am 30. Mai 1990 die Bildung einer temporären Regierungskommission „Strukturanpassung“. Diese soll zunächst als Einheit im Ministerium für Wirtschaft gegründet und zu einem späteren Zeitpunkt in eine eigenständige GmbH für Wirtschaftsförderung umgewandelt werden. Die Arbeit der Kommission hat folgende Zielsetzungen:
Um möglichst viele gesellschaftliche Bereiche abzudecken, entsenden 12 Ministerien Beauftragte in die Kommission. Dazu gehören unter anderem Vertreter des Ministeriums für Verkehr, des Ministeriums für Arbeit und Soziales und dem Ministerium für Finanzen.
Neben vorbereitenden Schritten entwickelt der Ministerrat ein Paket an Maßnahmen, mit denen die Unternehmen in der DDR auch nach der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion unterstützt werden sollen. Damit sollen sowohl die Leistungsfähigkeit bereits bestehender Unternehmen gewährleistet als auch Neugründungen von kleinen und mittelständischen Unternehmen initiiert werden. Da die einzelnen Programme teilweise bis in das Jahr 1993 reichen, müssen die Schritte jeweils mit der Bundesregierung abgestimmt werden. Insgesamt umfassen die Maßnahmen zur Strukturanpassung folgende Bereiche:
Generelle Infrastrukturmaßnahmen
Investitionsförderung
Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur
Aufrechterhaltung und Förderung des Handels mit Ländern des RGW
Maßnahmen zur Vergabe öffentlicher Aufträge
Maßnahmen zur Absatzförderung einheimischer Produkte
Zusätzlich werden entsprechend der Rentabilitätsprognose der Betriebe individuelle Sanierungsprogramme bzw. Pläne zur Einleitung und Durchführung des Konkursverfahrens entwickelt.
Das Niederlassungsgesetz
Eines der größten Investitionshemmnisse für ausländische Unternehmer ist das eingeschränkte Recht auf Niederlassung in der DDR. Bis 1990 ist es für ausländische Unternehmen nicht möglich, Anteile an volkseigenen Betrieben zu erwerben, diese vollständig zu übernehmen oder eigene Filialen auf dem Gebiet der DDR zu eröffnen. Die Freiheit, sich auf dem Staatsgebiet der DDR niederzulassen, ist jedoch eine der wesentlichen Voraussetzungen für ausländische Investitionen in der DDR. Bis Ende Juni 1990 gilt lediglich eine Verordnung vom 25. Januar 1990, welche die Gründung und Tätigkeit von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung in der DDR (Joint-Venture-Verordnung) reguliert. Diese erlaubt Beteiligungen, die Aufnahme eines Gewerbes oder die Niederlassungen nur, wenn das Unternehmen oder die Person auch in der DDR ansässig ist.
Bei den Gesprächen über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wird über eine Ausweitung der Niederlassungsfreiheit verhandelt, die in Anlage IV des Vertrages festgehalten wird. Die Neufassung des Gesetzes über die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit oder eines freien Berufes durch Personen ohne Wohnsitz, Sitz oder Niederlassung in der DDR (Niederlassungsgesetz) wird am 15. Juni 1990 auf der 14. Tagung der Volkskammer in der 1. Lesung diskutiert. Aus wirtschaftspolitischer Sicht werden damit vor allem folgende Ziele verfolgt:
Um die Entstehung von Monopolen zu verhindern, wird parallel über die Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen verhandelt. Seit dem 30. Mai 1990 existiert zudem das Amt für Wettbewerbsschutz. Nach der Debatte wird das Gesetz in den Wirtschaftsausschuss der Volkskammer verwiesen und in nur einer Woche überarbeitet. Am 20. Juni 1990 auf der 15. Sitzung der Volkskammer wird das Niederlassungsgesetz verschiedet. Es tritt am 1. Juli 1990 in Kraft.
Verordnung über die Tätigkeit von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung in der DDR vom 25. Januar 1990.
Quelle: BArch, DC 20 / I / 3 / 2902, pag. 23-39 (pdf)Entwurf des Ministerrates für das Niederlassungsgesetz vom 13. Juni 1990.
Quelle: Drucksache 75, Volkskammer der DDR (pdf)Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschuss der Volkskammer für das Niederlassungsgesetz vom 20. Juni 1990.
Quelle: Drucksache 75a, Volkskammer der DDR (pdf)Angaben zur Rentabilitätsentwicklung der Unternehmen der Industrie nach der Währungsunion vom 15. Juli 1990.
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