Die NVA ist bis 1989 mehr „Parteiarmee“ als „Volksarmee“ und stellt eine verlässliche Stütze des politischen Systems dar. Nahezu das gesamte Offizierskorps besteht aus SED-Mitgliedern. Die SED übt so gezielt Einfluss auf die Führung der NVA aus. Während der Friedlichen Revolution leitet die Übergangsregierung unter Hans Modrow bereits Mitte November 1989 eine Militärreform ein, die den Einfluss der Staatspartei SED beendet und die demokratische Umgestaltung der NVA zum Ziel hat. Vorgesehen sind die Reduzierung der Streitkräfte, die Einführung eines zivilen Wehrersatzdienstes sowie die Entfernung politisch belasteter Offiziere. Am 1. März 1990 wird der Zivildienst eingeführt. Für die Umsetzung der geplanten Reformen bleibt im Frühjahr 1990 jedoch nicht genug Zeit.
Als Rainer Eppelmann das Ministerium im April 1990 übernimmt, sind zahlreiche der SED-nahestehende Offiziere bereits entlassen. Die begonnene Militärreform wird mit folgenden Zielen fortgeführt:
Aus Militärreform wird Abwicklung
Die Durchsetzung dieser Ziele wird jedoch stark von den außenpolitischen Verhandlungen über die Wiedervereinigung bestimmt. Spätestens mit der sowjetischen Zustimmung zur freien Bündniswahl eines vereinigten Deutschlands, sind die Pläne für eine zweite Armee in Ostdeutschland und die Schaffung einer neuen Sicherheitspolitik hinfällig. Für die Überführung der NVA in die Bundeswehr spielen die Interessen der Bundesregierung eine immer größere Rolle. Die angestoßenen Reformen treten in den Hintergrund. Im Vordergrund steht das Bemühen um eine Abmilderung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen für die NVA-Angehörigen, die sich aus der Auflösung der ostdeutschen Armee ergeben. Dazu gehört auch die Frage nach dem Umgang mit dem vorhandenen Waffenarsenal und Kriegsgerät.
In den Verhandlungen zum Einigungsvertrag werden die Eckpunkte zur Übernahme der NVA-Angehörigen festgelegt. Auch hier können Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher ihre Vorstellungen von einer gesamtdeutschen Armee durchsetzen. Zwar werden mit dem Vertrag alle NVA-Soldaten Teil der Bundeswehr, doch müssen sie in „Wartestellung“ bleiben, da ihre weitere Verwendung geprüft wird.
Schreiben von Minister Eppelmann an Ministerpräsident de Maizière bzgl. Übergang zur Währungsunion in der NVA vom 3. Juli 1990
Quelle: Bundesarchiv, DC 20/6182, pag. 128-129 (pdf)Schreiben der Staatsbank an NVA-Chef Hoffmann mit Hinweisen zur Währungsumstellung
Quelle: Bundesarchiv, DC 20/6002, pag. 289-290 (pdf)Schreiben von Verteidigungsminister Eppelmann an Ministerpräsident de Maizière vom 5. Juli 1990. Die Republik Ungarn hat Interesse, Panzer und Waffen der NVA abzukaufen.
Quelle: Bundesarchiv, DC 20/6637, pag. 3 (pdf)Schreiben des Abrüstungsministers an den Ministerpräsidenten vom 29. Juni 1990, mit Hinweisen aus dem Bereich NVA für die bevorstehenden Verhandlungen zum Einigungsvertrag.
Quelle: Bundesarchiv DC 20/6011, pag. 138-139 (pdf)Hausinterne Information von Minister Eppelmann über die im Einigungsvertrag festgelegten Regelungen zur Zukunft der NVA-Angehörigen vom 6. September 1990.
Quelle: Bundesarchiv, DC 20/18521, pag. 155-158 (pdf)Befehl Nr. 49/90 zur Auflösung der Grenztruppen vom 21.9.1990
Quelle: Privatarchiv Werner Ablaß (pdf)Mit Befehl vom 21. September 1990 werden die Grenztruppen der DDR aufgelöst. Am 24. September 1990 tritt die DDR aus dem Warschauer Pakt aus. Mit dem letzten Tagesbefehl entlässt Rainer Eppelmann am 2. Oktober 1990 alle NVA-Angehörigen aus ihren Verpflichtungen und unterstellt die verbliebenen 89.900 Armeeangehörigen und 48.300 Zivilbeschäftigten dem Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr. Bundesverteidigungsminister Stoltenberg übernimmt die Befehlsgewalt über das neu gegründete „Bundeswehrkommando Ost“.
Trotz der großen beruflichen und persönlichen Ungewissheit erweisen sich die Soldaten bis zum Schluss als loyal und diszipliniert. Sie sichern den geordneten Übergang der NVA-Bestände in die Bundeswehr, kümmern sich um die Verschrottung bzw. den Verkauf nicht mehr benötigter Ausrüstung und wickeln ihren eigenen Arbeitsplatz ab. Der Großteil der Armeeangehörigen wird entlassen, die meisten Standorte der NVA geschlossen. Nach Schätzungen werden bis zum 1. Juli 1991 nur rund 10.000 ehemalige NVA-Soldaten als Berufs- oder Zeitsoldaten endgültig in die Bundeswehr übernommen.