Neben den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen gehört die Integration der DDR in die Europäische Gemeinschaft (EG) zu den zentralen außenpolitischen Aufgaben der Regierung de Maizière. Bereits im Koalitionspapier sind die wichtigsten europapolitischen Grundsätze festgeschrieben:
Um den Prozess der europäischen Integration zu strukturieren, wird im Amt des Ministerpräsidenten eine Interministerielle Arbeitsgruppe EG eingerichtet, die von der Staatssekretärin Petra Erler geleitet wird. Die Arbeitsgruppe fungiert als zentrales Koordinierungsgremium zur Zusammenarbeit mit der Europäischen Gemeinschaft.
Voraussetzung für die europäische Integration der DDR ist jedoch die Zustimmung der Mitgliedsländer der EG. Auf einem von Kommissionspräsident Jacques Delors angeregten Sondergipfel der EG-Staats- und Regierungschefs sowie deren Außenminister am 28. April 1990 in Dublin begrüßen die Mitgliedsländer die deutsche Wiedervereinigung.
Auf dem Gipfel werden die Bedingungen für einen Beitritt der Gebiete der DDR zur EG verhandelt. Diese umfassen vor allem folgende Aspekte:
1.) Eingliederung der DDR in die EG über die Herstellung der Einheit Deutschlands
2.) Verzicht auf Beitrittsverhandlungen
3.) Erarbeitung von speziellen Übergangs- und Anpassungsregelungen bei der Einführung europäischen Rechts
Unterdessen bemühen sich der Außenminister der DDR, Markus Meckel, und Petra Erler auf europäischer Ebene, Bedenken gegenüber den Folgen einer deutschen Vereinigung zu zerstreuen und eine eigenständige Europapolitik der DDR zu etablieren.
Stand der Beziehungen und aktuelle Kontakte DDR – EG, ohne Datierung.
Quelle: BArch, DC 20 / 18520, pag. 206-209 (pdf)Schreiben vom 21. Mai 1990 von Lothar de Maizière an den Präsidenten der Europäischen Kommission Jacques Delors. Darin stellt de Maizière die Grundsätze der Europapolitik der DDR vor.
Quelle: BArch, DC 20 / 18518, pag. 199-201 (pdf)Im Sommer 1990 finden umfangreiche Verhandlungen statt, in denen zahlreiche Detailfragen der Integration der neuen Bundesländer zur EG geklärt werden müssen. Zentral ist dabei die Einführung europäischer Rechtsstrukturen unter der Gewährung von Übergangsregelungen und Sonderfristen. Damit soll der besonderen wirtschaftlichen und politischen Situation in der DDR Rechnung getragen werden. Dies betrifft vor allem Bestimmungen in folgenden Bereichen:
Finanziert werden sollen die Fördermaßnahmen aus den Struturfödermitteln und den europäischen Regionalfonds der Europäischen Gemeinschaft. Während im Umweltschutz Übergangsfristen zur Erfüllung der EG-Normen bis zum Jahr 1995 festgelegt werden, gibt es keine Sonderregelungen für die Sicherheitsstandards der Atomkraftwerke in der DDR. Diese müssen sofort abgeschaltet werden.
Im Bereich Agrarwirtschaft umfasst das Gesetzespaket ein umfangreiches Subventionsprogramm, mit dem Notverkäufe in der Landwirtschaft der DDR verhindert werden sollen. Des Weiteren dürfen die Landwirtschaftsbetriebe für zwei Jahre die EG-Mengenbegrenzungen bei der Pflanzenproduktion überschreiten. Während dieser Übergangszeit sollen Überkapazitäten abgebaut werden.
In der Strukturpolitik legt die EG ein Förderprogramm zur Stärkung strukturschwacher Regionen auf. Damit sollen Investitionen gestärkt und wirtschaftlicher Niedergang, besonders in ländlichen Regionen, verhindert werden. Um die DDR-Bürgerinnen und -Bürger über das Gesetzespaket und die Tätigkeit der EG zu informieren, sollen in allen neuen Bundesländern – wie in den alten Bundesländern bereits auch – sogenannte Europäische Informationszentren (EIC) eingerichtet werden. Zudem beraten die EICs Unternehmen bei der Integration in den EG-Binnenmarkt und bieten Schulungsmaßnahmen für Medien, Regierungsstellen und Amtsträger an. Alle Regelungen werden in einem Gesetzespaket mit dem Titel „Die Gemeinschaft und die deutsche Vereinigung“ zusammengefasst, das die EG-Kommission am 22. August 1990 vorlegt.
Da der Europäische Rat und das Europäische Parlament erst Ende November 1990 über das Gesetzespaket abstimmen wollen, treten Konflikte mit dem von der DDR-Regierung angestrebten Beitrittstermin auf. Die innenpolitischen Entwicklungen in der DDR setzen die EG-Institutionen unter enormen Handlungsdruck. Zwar bittet Ministerpräsident de Maizière um eine Beschleunigung des Zustimmungsprozesses, doch das Gesetzespaket kann nicht mehr bis zum 3. Oktober 1990 von allen europäischen Institutionen verabschiedet werden. Deswegen treten zu diesem Zeitpunkt lediglich Übergangsbestimmungen in Kraft. Gleichzeitig wird die Bundesregierung ermächtigt, Regelungen, die nicht in Übereinstimmung mit Rechtsakten der EG stehen, bis Ende des Jahres 1990 beizubehalten. Die endgültige Umsetzung erfolgt am 18. Dezember 1990 durch die Verabschiedung einer „EG-Recht-Überleitungsverordnung“.
Zusammenfassung der wichtigsten Punkte des Vorschlages der EG-Kommission zum Thema „Die Gemeinschaft und die deutsche Einigung“ vom 12. September 1990.
Quelle: BArch, DC 20 / 18511, pag. 3-16 (pdf)Schreiben und Briefentwurf von Petra Erler für Lothar de Maizière zur Vorverlegung des Zustimmungsprozesses vom 4. August 1990.
Quelle: BArch, DC 20 / 18519, pag. 201-203 (pdf)Dokumentation der EG-Kommission „Die Europäische Gemeinschaft und die deutsche Vereinigung“, Nr. 4/90.
Quelle: Dokumentation der EG-Kommission „Die Europäische Gemeinschaft und die deutsche Vereinigung“, Nr. 4/90. (pdf)Die neuen Länder und die EG
Die Eingliederung der neuen Bundesländer in die EG wirft nicht nur im internationalen Kontext, sondern auch in den kommunalen Verwaltungen zahlreiche Fragen auf. Um den Informationsbedarf zu decken, organisiert Petra Erler Beratungen von Vertretern der Bundesregierung mit Verantwortlichen aus den Bezirksverwaltungen. Auf insgesamt drei Treffen werden folgende Fragenkomplexe der EG-Integration erörtert:
Notiz über eine Beratung von Vertretern der Bezirksverwaltungsbehörden der DDR und zentraler Ministerien am 16. August 1990.
Quelle: BArch, DC 20 / 18516, pag. 157-158 (pdf)Notiz über die 3. Beratung von Vertretern der Bezirksverwaltungsbehörden der DDR und zentralen Ministerien mit Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums, des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales am 26. September 1990.
Quelle: BArch, DC 20 / 18516, pag. 6-8 (pdf)Das PHARE-Programm
Parallel zur kommunalen und regionalen Vorbereitung der europäischen Integration bemüht sich Petra Erler in den Verhandlungen mit der EG intensiv um die Teilnahme der DDR im Programm PHARE (Poland and Hungary Assistance for Economic Restructuring). Beschlossen wird das Programm am 25. November 1989 auf einem Sondergipfel der EG-Staatschefs, um die Reformprozesse in Ungarn und Polen finanziell zu unterstützen. Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Umgestaltung der Landwirtschaft, Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie dem Umweltschutz.
Da die DDR nur vor dem Beitritt Mittel aus dem Programm beantragen kann, müssen die Projektanträge unter Hochdruck erarbeitet werden. Mehrere Ministerien entwickeln hierfür Vorschläge, die in der Interministeriellen AG gebündelt und anschließend der EG zur Prüfung übergeben werden. Die Anträge umfassen beispielsweise die Sanierung des oberen Elbtals, eine Projektstudie über den Bau eines neuen Flughafens in Berlin oder die Einrichtung der Europäischen Informationszentren.
Um die effektive Verteilung der PHARE-Mittel in den Ministerien zu gewährleisten, werden sogenannte Projektmanagementeinheiten (PME) eingerichtet. Gemeinsam mit ressortspezifischen Lenkungsgruppen und durch die Einsetzung ausländischer Experten soll der Fortgang der angestrebten Projekte kontrolliert werden.
Information zum weiteren Verfahren bei der Inanspruchnahme von Mitteln aus dem EG-Hilfsprogramm PHARE vom 24. Juli 1990.
Quelle: BArch, DC 20 / 18511, pag. 234-235 (pdf)Beschluss des Ministerrates der DDR über die Verwendung der im Rahmen des Programms PHARE durch die EG bereitgestellten Mittel vom 25. Juli 1990.
Quelle: BArch, DC 20 / 18519, pag. 104-106 (pdf)Schreiben vom 26. Juli 1990 von Petra Erler an Tom Garvey, Direktor des PHARE-Programms, mit Projektvorschlägen aus den DDR-Ministerien.
Quelle: BArch, DC 20 / 18518, pag. 203-208 (pdf)Vertragstext des Rahmenabkommens zwischen der EG und der DDR zur Teilnahme am PHARE-Programm vom 28. September 1990.
Quelle: BArch, DC 20 / 18511, pag. 95-96 (pdf)Mittels einer Rahmenvereinbarung, die am 28. September 1990 vom Vize-Präsident der EG-Kommission und Petra Erler unterzeichnet wird, können Fördermaßnahmen aus dem PHARE-Programm in Höhe von etwa 40 Millionen DM noch kurz vor der deutschen Einheit gesichert werden.